Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
Vom Netzwerk:
auch von der Revolution sei. Plötzlich war sie empört über diese Soldaten, die unentwegt weiterschossen. Die waren ja verdreht. Ziweck wollte sich erheben, aber als er schwankte, drückte sie ihn zärtlich in den Stuhl zurück. Er bot ihr mit verklärten Augen ein Gläschen an, sie nippte daran, aber der Kognak mußte ganz herunter. Und jetzt schlüpfte sie – während er aufmerksam die Einschläge der Kugeln in der Decke beobachtete, merkwürdiges Naturspiel – zur Tür hinaus.
    Die Angreifer, unter und hinter dem Wagen, sahen sie an der Haustür, zwei Mann liefen näher. Barbara, die sie für gefangen hielten, hatte sich also befreit, und der Kerl wird tot sein. Das dachten sie. Statt dessen überfiel sie das Mädchen, kreischte und griff sie wie eine Mänade an. Das blonde Haar hing ihr noch offen über die linke Schulter, sie war ohne Bluse, nur in einem grünen Schlafrock, im Hemd und auf Strümpfen, wie sie aus dem Bett gestiegen war. So überfiel sie die Männer mit Geifern und Keifen. »Was macht ihr, was soll dies Schießen, er ist Soldat wie ihr, er ist krank, er kommt aus dem Lazarett, und ihr schießt. Es ist doch Revolution.«
    Sie krochen bekümmert und betroffen unter dem Wagen hervor, einer nach dem andern mit seinem Gewehr. Was war denn das hier für eine Sache. Das Mädchen schrie: »Warum« und immer wieder: »Warum«. Sie wußten es eigentlich auch nicht. Bloß einer sagte: »Die Polizei hat uns alarmiert, es ist nicht seine Wohnung.« Sie waren aber konsterniert, wie das Mädchen plötzlich für ihn Stellung nahm, und hörten sie sich an. Eigentlich hatte sie ganz recht. Was geht uns die Polizei an? Zu allem Überfluß drängte sich noch der Eisenhändler hinzu und wollte hören, was es gab. Aber ihm blieben die Worte im Munde stecken, als er sah, daß Barbara den grünen Schlafrock seiner Frau trug und ihn sich vor den Männern festzog. Die Soldaten schickten wütend den Eisenhändler zurück, für den wollten sie sich wirklich nicht aufgeregt haben. Sie sagten: »Na Dicke, was ist jetzt mit ihm?« »Was wollt ihr mit ihm machen?« »Ist er verwundet?« »Er schläft. Macht, daß ihr wegkommt.«
    Da lachten sich die Männer nun doch an, zwei faßten sie und hielten sie fest, andere stürmten ins Haus, die Treppe hinauf, sie kreischte wütend: »Ziweck, sie kommen, Ziweck, Ziweck!« Aber er hörte nicht.
    Als der erste eintrat, Gewehr im Anschlag – das Mädchen hatte alle Türen offen gelassen, und man sah den Mann schon von der Treppe –, da saß Ziweck auf einem Fauteuil, der unten Rollen trug, und bemühte sich in einem Rest von Bewußtsein, mit dem Möbel aus der Stube auf den Gang zu fahren, wohl um den Kampf weiterzuführen. Und er schlug auch auf sie ein, als sie eintraten und ihn packten, er krähte wütend. Aber bald glitt er hilflos zu Boden.
    Sie rafften ihn auf, er strampelte, sie schleppten ihn die Treppe herunter, in den Lastwagen, Barbara raufte mit den Leuten. Sie taten ihm nichts, an der Kleidung erkannten sie den Lazarettinsassen, sie fuhren ihn hinaus. Sie kamen schwer vorwärts, an der Kasernenstraße war ein lebensgefährliches Gedränge entstanden.
    Barbara aber führte man auf die Polizei. Sie hatte einen Schlafrock der Eisenhändlerin an und sich an dem Gelage des Ziweck beteiligt.

    Der Festesjubel nahm gleichzeitig in der Stadt zu. Die Menschen freuten sich aus verschiedenen Gründen, die einen, weil die Franzosen schon morgen kämen, und dann hörte die Kartenwirtschaft für Brot, Butter, Fleisch und Kohle auf; die andern rechneten erst mit dem Fünfzehnten, freuten sich aber mit den andern; die Soldaten freuten sich, weil man in Marschstimmung war, und es ging in die Heimat, in die Heimat, in die Heimat zurück. Inzwischen ängstigten sich andere aus verschiedenen Gründen, zum Teil aus denselben, aus denen die andern sich freuten.
    Daß an diesem Tage viel geschehen würde, fühlten sie alle. Was würde es werden, Krawall, Schießerei oder was? Und um daran teilzunehmen, war von Mittag ab alles, was Beine hatte, auf den Straßen. Die Ladenbesitzer waren in Verzweiflung, sollten sie schließen oder offenlassen, die Leute kauften zwar viel, andererseits sah es nach Plünderung aus, und man ließ keinen gern ein.
    Es wanderten durch die Menge viele, die man hier selten oder nie sah und die eigentlich in solcher Zahl hier nichts zu suchen hatten! Scharen von Bauern und Bäuerinnen, waschechte Elsässer mit kurzen Jacken, blanken Knöpfen, flachen Hüten und hinter

Weitere Kostenlose Bücher