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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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unsern Korridor nicht mehr beehren?« »Sie hat auch ihren Knacks.« »Wie wir alle.« »Wegen Richard. Und, nun ja, wegen Deutschland. Alles umsonst. Alles hin. Der ist tot, ich hab’ meine Schulter, du dein Kreuz, und was hier herumliegt und herumkriecht.« »Und was in der Erde liegt.« »Ja, Becker, alles umsonst. Es ist schon wahr. Ist das zu denken?«
    Becker hatte sich verändert. Er saß höher auf. Er hatte, ohne den Kopf zu bewegen, den Blick auf die Decke gerichtet, seine Kaumuskeln zuckten: Nein. Wahrhaftig nicht zu denken. Völlig undenkbar. Ich lehne ab, es zu denken. Das alles ist. Es ist bloß.
    Der Jüngere, Rotbäckige klagte wie ein störrisches geschlagenes Kind in den Raum: »Und dann (er zerrte ein gefaltetes Zeitungsblatt aus seiner Jackentasche), dann verlangt man von uns, hast du gelesen – fünftausend Kanonen, zweitausend Flugzeuge, dreihunderttausend Maschinengewehre, Räumung von Elsaß-Lothringen in vierzehn Tagen, Räumung des linken Rheinufers, Besetzung von Köln, Koblenz, Mainz. Becker, das ist nicht auszuhalten, das kann doch kein Mensch aushalten, lieber läßt man sich mit Knüppeln totschlagen.«
    »Sie haben schon unterschrieben. Du genießt schon den Waffenstillstand.«
    »Und die Kolonien, und Posen, und Teile von Schleswig-Holstein, und der Kaiser. Gestern sagten sie im englischen Unterhaus: Man wird den Kaiser, den Kronprinz, Generäle auf eine Liste setzen als Kriegsverbrecher, die auszuliefern sind. Es ist eine unbeschreibliche, unbeschreibliche Schande. Wir werden besudelt vom Kopf bis zu den Füßen. Und jetzt das noch. Revolution. Ich möchte nicht leben. Ich möchte ein Messer nehmen und Amok laufen.« Maus hielt sich die Ohren zu. »Wenn der Kerl doch aufhörte zu blasen.«
    »Er übt, er läßt sich nicht stören, Trompetenblasen ist das einzige, was er aus dem Krieg nach Hause mitbringt.«
    »Hör auf«, knurrte der andere.
    Becker: »Der Mann ist mir ein Vergnügen, seitdem ich hier bin. Früher, bei jedem Verbandwechsel, dachte ich, die Welt geht unter, und ich komme nicht mehr lebend aus der Prozedur, noch ein Knochensplitter, noch ein Knochensplitter. Aber dann bläst er, vorher, währenddessen. Ich weiß, er wird auch nachher blasen, und das bringt mich über den Abgrund.«
    Maus seufzte auf: »Du müßtest sehen, Becker, was hier im Lazarett vorgeht. Sie tragen das Haus stückweis weg.« »Wer?« »Die Raben, die Diebe, unsere deutschen Landsleute, Männer und Frauen stehlen. Kein Mensch hindert sie. Hilde sagt, sie geht in einer Stunde weg, sie will nicht mit in Verdacht kommen.«
    »Was blasen die Trompeten« übte der Mann im Garten.
    Becker schüttelte den Kopf: »Ich erkenne nichts an. Ich erkenne es niemals an. Es ist nicht wahr.«
    Er strich mit der Hand durch die Luft, als wenn er befahl oder etwas wegwischte: »Es kann geschrieben oder gedruckt sein, wie es will. Es ist nicht. Es ist nicht.« Maus trat neben ihn, er wunderte sich, weil Becker so still war: »Hast du Schmerzen?« Becker hauchte: »Nicht schlimm.« »Mein Gott, Becker, was ist dir? Ich hab’ dich aufgeregt?«
    Beckers Zähne klapperten, er machte eine matte Bewegung: »Wir sind Krüppel. Man kann mit uns machen, was man will.« Maus streichelte seinen Arm: »Becker, ich hole dir eine Flasche Wein, wir begießen den Abmarsch.«
    Aber nach einer Minute, wie er draußen war, erschien Schwester Hilde im Zimmer und fand Becker allein. Er lag mit leerem Gesicht da: »Leutnant Maus ist im Augenblick verschwunden.« »Guten Morgen, Herr Oberleutnant. Ich schließe das Fenster. Sie sehen ganz erfroren aus.«
    Er sammelte sich: »Sagen Sie mir etwas, Schwester Hilde.« »Was?« »Sie gehn auch weg? Das Lazarett löst sich auf?« Sie ließ den Kopf hängen. Ihr Gesicht war verschlossen, sie sagte: »Ich geh’ zu meinem Vater nach Straßburg. Vater ist bald siebzig.« »Da haben Sie Ihr Zuhause. Sie waren drüben in Deutschland, erzählte Maus.«
    Sie hatte Tränen in den Augen und blickte zur Seite: »Ich komme mir seit vierzehn Tagen wie die dümmste Küchenmagd vor. Ich verstehe nichts und weine. Verzeihen Sie. Leben Sie recht wohl, Herr Oberleutnant.«
    Er hielt ihre Hand: »Warum so eilig? Der alte Mann in Straßburg hat den langen Krieg ohne Sie verlebt, da wird’s auf eine halbe Stunde nicht ankommen. Maus holt Wein zum Abschiednehmen.« »Lassen Sie mich los. Mir ist nicht danach.« »Hier gibt es nichts zu weinen und mit Tränen zu ertränken. Hier geht nichts unter. Die Leute machen

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