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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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›Bereuen Sie, daß Sie mich nicht verstanden haben?‹«
    Köppchen blies die Backen auf und blies die Luft aus, Männer sind eben gemein, recht hat sie, lassen einen sitzen.
    Neues Blatt. Einen Blick nach oben, wo die Männer ihre Sache betrieben, mit ihren komischen Namen, Tewfik Pascha, ein Türke, in Rußland heißen sie Bolschewiki, Wilsons Antwort ist eine Urkunde, die trotz ihrer Kürze offenbar das Ergebnis sorgfältiger Überlegung ist. Die Ententeheere haben die Städte Saint-Quentin und so weiter befreit und erobert, indem sie sie vernichteten. »Seit Wochen lag die Stadt Cambrai unter schweren Fliegerangriffen, Tag für Tag erschienen die Ententegeschwader und ließen ihre Bomben fallen, Haus für Haus, Straße für Straße wurde in Trümmer gelegt, die verängstigten Einwohner trauten sich nicht mehr aus den Kellern. Als die Ententeheere immer näher rückten, folgten Granaten schweren Kalibers den Fliegerbomben, die Zivilbevölkerung mußte in Sicherheit gebracht werden, immer näher kam die Front der Stadt (das ist ja gräßlich), den schweren Granaten folgten Minen, die Vorstädte zerbrachen in Schutt und Trümmer, und immer mehr wuchs die Verwüstung. Die alten Gebäude am Marktplatz, die im vorigen Jahre anläßlich der Tankschlacht (was ist das nun wieder) bei Cambrai zum ersten Mal mit englischen Granaten in Berührung kamen, erlitten schwere Beschädigung. Als in der Nacht vom 8.Oktober die letzten deutschen Sicherungen ihre Stellungen, die sie längs des Kanals am Ostrand der Stadt so lange tapfer verteidigt hatten, verließen und durch die öden verlassenen Straßen zurückgingen, schritten sie durch die Höhlen eingestürzter Häuser. Die Straßen durch Trümmer verbarrikadiert, Pferdeleichen am Wege und der Himmel rot von der Flamme, die aus den Häusern schlug, die von englischen Brandgranaten getroffen waren.«
    Die Engländer, das sind die richtigen. Atemlos legte sie ihre Hand auf die Brust, las einiges nochmal, immer näher kam die Front der Stadt, den schweren Granaten folgten Minen, aber beim zweiten Mal war es nicht mehr so schön wie beim ersten.
    Ein Zugochse, lammfromm, gut im Zug, abzugeben, Fritz Grab, Korsettklinik. Sie landete unten bei den »drei schönen Bernhausens« von Fr. Lehne: »Tief neigte sich der zarte Nakken Thoras, als zögen ihn die kostbaren Schnüre mit den großen Perlen nieder, die ihr soeben der Verlobte als Hochzeitsgabe um den Hals gelegt hatte. Mit einer fast wilden Bewegung aber fuhr sie empor, als sie seine Lippen auf ihrem Hals fühlte, so daß der Kommerzienrat fast erschreckt zurückwich. Zürnend flammte ihr Auge ihn an. Hatte er die Bedingung vergessen, die sie bei der Verlobung gestellt? Er verstand sie, beinah verlegen lächelnd fuhr er sich mit dem Taschentuch über das rote Gesicht und führte ihre Hand respektvoll zum Mund: ›Meine geliebte Thora, es sind noch fünf Tage.‹ ›Ja, noch fünf Tage‹, flüsterte sie mit bleicher Lippe. Der Kommerzienrat hatte Kaffee, Schlagsahne und verschiedenes Gebäck bestellt.«
    Es sind feine Herrschaften, vielleicht heiratet mich der Oberleutnant auch, die Offiziere haben ihre Ehrengesetze, sie suchte im Briefkasten der Zeitung, ob sich da was fand über Ehrengesetze der Offiziere, wenn bei einer ein Kind unterwegs ist. Wenden Sie sich an die Gefangenenfürsorgestelle des Roten Kreuzes, Maria Magdalena. Sie haben das Recht, ab 1.Oktober erhöhte Miete zu verlangen, Zichorienwurzeln werden zuerst sorgfältig gewaschen.
    Sie saß, das Gesäß im Stuhl zurückgeschoben, schräg die Brust auf dem Tisch, die Ohren hochrot. Es war überheizt in dem Raum, ganz still. Ihr wurde leicht übel, das Kind, ihr Besitz. Sie würde in Zukunft faulenzen.
    Stolz erbrach sie auf der Toilette, krümmte sich über den Trichter, sagte: Prost.

    Still verbrachten Oberleutnant Becker und Leutnant Maus den Tag auf ihrem Zimmer. Becker lag seit einem Jahr in dem Städtchen. Er hätte längst in sein Heimatlazarett Berlin überführt werden sollen, aber er hatte gebeten, draußen zu bleiben, »draußen«, wenigstens hier. An der Somme hatte ihn ein Granatsplitter getroffen. Man hatte ihn gelähmt nach hinten geschafft. Das Geschoß hatte ein schreckliches Loch in das Kreuzbein gerissen, das Rückenmark war berührt. Im Beginn konnte er mit seinem ganzen unteren Körper nichts anfangen. Etwas Totes hing an ihm. Becker, von Beruf Gymnasiallehrer, Altphilologe, erklärte den Spezialisten und allen, die ihn im Lazarett besuchten: er

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