November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
armes Luder. Ich lasse mir nicht das Recht des Protestes nehmen. Dieses besitze ich auch. Wenigstens das werde ich können, daß ich protestiere. Mach keinen heiteren Gott aus mir. Da fliegt meine Maske hin.«
»Becker, du läßt dich gehen.« »Und warum nicht. Warum ihr und nicht ich, ich lasse mich gehen, ich will und muß mich endlich gehenlassen. Ich protestiere. Wäre ich doch draußen geblieben. Die da liegen, sind besser dran als wir, sie brauchen nicht nochmal anzufangen, sie haben es geschafft.«
Becker stöhnte dumpf. Maus: »Wenn du es nicht schaffst, was sollen wir sagen.« Da drehte Becker ihm wieder das Gesicht zu und tastete, ohne zu sprechen, nach seiner Hand.
Maus: »Kannst ruhig mal schwach werden, du. Ich habe dich wirklich schon für eine Art Gott gehalten.«
Am frühen Morgen, als sie auf einer kleinen Station hielten, zu einem Großreinemachen für Mann und Wagen, saß Becker tief blaß, versunken, kühl, aber friedfertig in seiner Ecke. Der Kaffee stand schon auf der Bank, Maus brachte Gebäck und breitete ein frisches Handtuch auf seiner Seite aus. Er hob beim Eingießen des Kaffees den Kopf nach rückwärts zu Bekker, der ihn beobachtete: »Nun, du großes Dulderbild, wie bediene ich dich?« Das alte spöttische Lächeln um Beckers Mund: »Störe mich nicht, falscher Hund. Öffne das Fenster.«
Und als Maus es heruntergelassen hatte, nahm Becker mit einer pathetischen Geste seine Kaffeetasse und goß sie zur Hälfte zum Fenster hinaus: »So! Das für die Götter dieses Landes. Sächsischer Boden, ich weihe dich mit Bliemchenkaffee.«
Sie hatten Gelegenheit, am selben Ort eine Art Demonstration mit Vorantragen roter Fahnen zu sehen. Der kleine Trupp schien die Absicht zu haben, sich dem Zug zu nähern, vor dem sie standen, um eine Ansprache zu halten, schwenkte aber ab. Maus kniff traurig die Augen: »Warum kommen sie nicht zu uns? Vor uns braucht man doch keine Furcht zu haben.«
Becker: »Wer war das? Was machen die?«
»Das ist die Revolution.«
»Was! Ich habe mich so auf die Revolution gefreut. Das sind Kirchgänger, Maus.«
»Ich sage dir, nein. Heute ist doch Dienstag.«
Sie kletterten in ihren Wagen, Maus packte seinen Freund in die gewaltige Pferdedecke, die sich rätselhafterweise aus der Artilleriekaserne hierher verirrt hatte. Becker sagte gedankenlos: »Enttäuschend.«
Die Türen knallten. Der Zug fuhr durch kleine sächsische Herzogtümer, die keine mehr waren, man hielt in Saalfeld, Rudolstadt, Weimar und blickte hinaus. Es ließ sich an ihnen nichts Besonderes entdecken.
In Naumburg war Schluß.
Was jeder besaß, hatte er sorgfältig verpackt, versteckt, man wußte, beim Ausgang gab’s Kontrolle. Es ging alles ohne Schwierigkeit, sehr rasch, der Trubel auf der Bahn war groß. Ehe man es sich versah, befand man sich auf einem andern Bahnsteig in einer ungeheuren Masse von bepackten Soldaten und Zivilisten, die alle auf Züge warteten und die man schon nicht mehr kannte.
Man wurde auseinandergedrängt.
In der Bahnhofskommandantur und auf den Bahnsteigen saßen Uniformierte an kleinen Tischen, und an ihnen schob sich eine lange Reihe von Leuten vorbei, denen sie Scheine unterschrieben und stempelten. Es waren Soldatenräte. Für die, die nicht gleich reisten, waren Hotels und Bürgerquartiere vorbereitet. Die letzten Grippekranken fuhr man ins Krankenhaus.
Wie die Blätter eines welken Baumes fielen sie hin und zerstreuten sich.
TEIL II
Zerschmetternde Niederlage
Wie eine lose Tür von einem Orkan hin und her geworfen und aus den Angeln gebrochen wird, so wurde die deutsche Armee vom Feind gerüttelt, geschwenkt und schließlich aus ihren Stollen und Festungen gehoben.
Der deutsche General, Erich Ludendorff, ein Dreiundfünfzigjähriger aus der Provinz Posen, wußte, daß er in diesem Jahr die letzte Chance hatte. Er holte im Frühling zu dem Schlage aus, der den Krieg nach vierundvierzig Monaten entscheiden sollte.
Anderthalb Millionen Mann und mehr als sechstausend Geschütze versammelte er in Nordfrankreich um sich auf engstem Raum. Fünfzig Divisionen marschierten ungesehen konzentriert auf Cambrai und Saint-Quentin. Drei Monate brauchte er zur Vorbereitung. Bei Sturm und Regenwetter am 20.März um zwölf Uhr ließ er seine Armeen los auf das Stichwort St. Michael. Mars sollte die Parole für den zweiten Stoß sein, und mit St. Georg wollte er dem Feind den tödlichen Hieb versetzen. Als man drei Tage gekämpft hatte, war die 5. englische Armee des
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