November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
wieder aufgerafft. Ein Krieg hat Wechselfälle. Kämpft man nicht auf Durchbruch, kämpft man auf Verteidigung. Kämpft man nicht in Frankreich, kämpft man an der deutschen Grenze, vielleicht in Deutschland. Ein Krieg hat Wechselfälle. Die Rückzugslinie, die er vorbereitet hatte, entlang der Serre und Aisne, wurde ihm versperrt. Er griff auf die Linie Hirson, Mézières, Metz. Der deutsche General hatte schon so wenig Truppen, daß er Divisionen aus dem Oberelsaß und Belgien rief und sie nach den Argonnen warf, andere von Lens nach Flandern. Er riß hier eine Bresche in seine Front, um da eine zu stopfen.
Der Jubel in dem befreiten französischen Land: »Die Boches. Ah, sie fliehen. Die Stunde naht, zu sühnen und Genugtuung zu geben.«
Am 16.Oktober rücken die Belgier unter ihrem König von Dixmuiden auf Ypern vor. Die belgische Nordseeküste liegt unter dem Feuer der englischen Schiffskanonen. Der deutsche General ist wieder ganz hart. Es gibt noch das große Verteidigungssystem Lille, Maubeuge, Sedan, Montmédy, Thionville, Metz. Man hat eine kleinere Front. Ein Krieg hat Wechselfälle. Sein Ostflügel zwischen Aisne und Maas steht.
Wieviel Kanonen, wieviel Mitrailleusen sind den Franzosen in die Hände gefallen bis zu diesem Datum, dem 21.Oktober, seit dem verhängnisvollen 15.Juli? Viertausendfünfhundert Kanonen, fünfundzwanzigtausend Maschinengewehre. Die Engländer rühmen sich, im August, September allein hundertdreiundzwanzigtausend Deutsche gefangengenommen und vierzehnhundert Kanonen erbeutet zu haben.
Es wäre trotz allem kein Grund zu verzagen, denkt der General, wenn der Kaiser wollte, das Heer wollte, die Heimat wollte. Aber es ist etwas mit ihnen. Er weiß es seit dem 8.August. Seine Armee ist zu Tode erschöpft. Die Heimat zittert. Der Kaiser ist unruhig. Ein Volk besteht aus Menschen. Solange ein Wille hart über ihnen liegt, ducken sie sich und halten still. Wenn sie Schmerz fühlen, verbeißen sie ihn. Läßt der Wille nach, so atmen sie heftig, stoßen einander und murren. Die Heimat murrt. Es geht rückwärts, immer rückwärts. Neue strategische Möglichkeiten interessieren keinen nach fünfzig Monaten Krieg.
Und nun überschreitet unter der einheitlichen Führung des alten Ferdinand Foch die Armee Debeney die Oise, die Armee Mangin dringt über die Serre, Gouraud marschiert auf dem rechten Ufer der Aisne, der Engländer vernichtet seinen Widersacher am Rand des Mormalwaldes. Von Osten und Westen ist das Zentrum der Siegfried- und Hindenburglinie, Saint-Gobain, überflügelt. Es ist der 26.Oktober.
Da wird der deutsche General zu seinem Kaiser auf das Schloß Bellevue nach Berlin berufen. Der General weiß, was das bedeutet. Aber er weiß es nicht in vollem Umfang. Ein mittelgroßer weißhaariger Mann in Generalsuniform steht ihm im Audienzzimmer gegenüber, mit dem Rücken gegen den Schreibtisch, das wohlbekannte Gesicht des Kaisers, ein gereizter, schwer getroffener Mensch, der sich nur mühsam bezwingt, seine Wut nicht an ihm auszulassen, einer, dessen Worte Haß und Rachsucht verbergen. Der General wird kalt und ohne Dank verabschiedet.
Das Letzte geschah im Anfang November. Da setzten die Briten mit ihrer 1., 3. und 4. Armee zum Stoß auf die noch ausharrenden Truppen des Kaisers ein. Fünfundzwanzig deutsche Divisionen hielten vor ihnen stand, zwischen Sambre und Schelde, zusammengeschmolzen, erschöpft, von überjungen und überalten Mannschaften ergänzt. Die Briten zerrissen die feindliche Linie auf dreißig Meilen. Im pruschenden Novemberregen drangen sie vor, die Deutschen mußten zurück, ganze Batterien ließen sie im Stich. Den Wald von Mormal durchzogen die Briten und setzten sich in der Linie Barzy – Berlaimont westlich Fresnes-Boisin fest. Die Front zwischen Bar und der Maas wurde gleichzeitig von französischen und amerikanischen Einheiten berannt.
Zu Boden
Dicht hinter den deutschen Fronten lagen jahrelang halbfriedlich französische, belgische Städte und Dörfer. Als die Feuerwalze der Alliierten nahte, hatten sie lange genug geruht. Überall kamen Befehle der Kommandanturen: die Orte zu räumen. Aber auch wo keine Befehle kamen, setzten sich die Menschen in Bewegung.
Was war aber so rasch wie Flintenkugeln, Fliegerbomben, Granaten? Wie vermied man es, zwischen die beiden Fronten zu geraten und zerschmettert zu werden? Man hatte sich durch die lange Ruhe betrügen lassen, endlich mußte ein Ende kommen, nun war es da.
Man suchte Wagen. Es gab
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