November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
wurde vor die Wagen gespannt, an die man noch andere hängte. Drin dachten sie an ihr Zuhause, wurden stiller und fremder. Der Zug brauste durch Thüringen.
Montag, der 18.November, der letzte Abend, die letzte regnerische finstere Nacht. Trübes Licht in den Abteilen. Becker und Maus lagen auf ihren Bänken und dämmerten.
»Schläfst du, Maus?«
»Ich versuche. Kann nicht.«
»Erinnerst du dich, wie wir abfuhren? Wir kamen vom Flugplatz, dann wurde es hell und dunkel, das war ihr vielgerühmter Forst, so habe ich ihn doch mal zu sehen bekommen, Bäume, Lichtungen, es war märchenhaft.«
»Friede, lieblicher Friede, sagtest du. Du sangst förmlich, Becker. Ich dachte, du träumst.«
»Jetzt ist bald Schluß mit allem, Maus. In Naumburg werden wir aufgelöst.«
»Ja. Was wird aus uns? Wir brauchen doch weiter Behandlung?«
»Es gibt überall Kliniken, Krankenhäuser. Aber sonst – ist es aus.«
»Und dann fängt das Neue an.«
»Dann fängt es an.«
Die Wagen klirrten und schütterten gleichmäßig, sie sogen die Bewegungen ein, die letzten Geräusche, das Beben, das sie noch mit dem Lazarett und dem Krieg verband.
Becker: »Erinnerst du dich an den Trompeter, der jeden Morgen im Garten probierte?«
»Im Hessischen ausgestiegen.«
»Ah. Hätt’ mich gern von ihm verabschiedet.«
»Die Leute haben jetzt viele Sorgen.«
»Und die Alte, die bei uns reinmachte. Zuletzt wurde sie unregelmäßig.«
Maus stieß ein kurzes Lachen aus: »Die hab’ ich gesehen, die stibitzte wie wild und konnte reden!« »Und der blinde Hauptmann, von dem du mir erzähltest, der immer allein durch das Städtchen spazierte und seine Schritte zählte. Und Richard.«
»Er liegt auf dem Friedhof an der Chaussee zu unserm Lazarett. Ich war noch einmal da, in der Nähe liegt ein französischer Flieger, der in der Umgebung abgestürzt ist.«
»So, so. Da liegen sie also. Und das sackt alles ein und sinkt zusammen und wird Vergangenheit wie, ich weiß was, wie der Siebenjährige Krieg und der Perserkrieg. Ob es nicht auch einmal einen Aufstand der Toten gegen die Lebendigen gibt. Nur wir, Maus, wir sind Schiffbrüchige auf einem Floß. Wir werden jetzt an den Strand geworfen. Wie Odysseus.«
»Was wird kommen, Becker?«
»Keine Nausikaa wird uns empfangen und uns Kleider bringen. Nausikaa hatte Pallas Athene Mut in die Seele gehaucht und die Furcht den Gliedern entnommen. Und sie stand und erwartete ihn.«
»Wo ist jetzt dein Friede, Becker, der liebliche Friede?«
Becker gab keine Antwort. Eine Süßigkeit, von wo, irrte unvermutet durch ihn. Wende dich, sprich: Gott grüße dich, o du bitterste Bitterkeit, du sollst meine liebste Schwester sein, du bist voller Gnaden.
Maus: »Mir ist flau zumut, ich mag nicht zum Fenster hinausschauen, das Land ist ausgepowert, ein Heer wird es nicht mehr geben, mein Vater mit seiner Pension wird mich nicht halten.«
Becker summte, er erwischte nicht, was durch ihn irrte. Noch einmal der Hauch eines Worts, vergiß meines Landes nicht, ich werde dir ein hilfreiches Zeichen schicken, eines Tages. »Und dennoch Friede. Man wird nicht im Unterstand liegen, die Granaten werden nicht platzen, es wird etwas anderes kommen.«
»Was? Ich mag nicht nach Hause.«
Becker, der auf dem Bauch lag, drehte ihm den Kopf zu: »Was willst du, was verlangst du? Sieh mich, da liege ich, mit meinem Kreuz, mit meinem Bein.« Er sank auf sein Gesicht: »Ich werde keine Frau mehr berühren.«
Maus: »Sei still, das haben viele gesagt.«
Becker bedeckte seine Augen, niemals hatte Maus seinen Freund klagen hören: »Wäre der Krieg nie gewesen, und wenn, wäre er nie zu Ende gewesen. Mich dafür zu erwecken.«
»Ich bleibe bei dir, Becker.« »Ich sage dir, es ist ein böser Geist, der dieses Leben geschaffen hat. Ich war schon tot, es war gewiß nicht ›höchste Lust‹ wie im ›Tristan‹, aber Stille und Ruhe, ein wahrer und angemessener Zustand. Ein böser Geist hat mich dann geweckt, und das nennt man Genesung. Und nun heißt es, keine Ruhe finden, hoffen und warten, begehren und so zu liegen. Weil es böse ist, jagt es mich und läßt mich nicht stille sein. Damit hat man uns begabt, so sind wir ausgestattet, mit diesem Wahnsinn.«
Maus saß sprachlos vor diesem Ausbruch. Er verstand nicht, was Becker sagte, aber er fühlte die bittere Schärfe. Er half sich, indem er schmeichelte. »Aber das ist doch nicht so, wie du redest, und das ist doch nicht Becker, der das sagt.«
»Ich bin es, exakt, solch
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