Novembermond
je ein Glas mit einer klaren Flüssigkeit – Wodka? Gin? – vor uns beide. Da ich keine harten S a chen trinke, konnte ich sie nicht voneinander unterscheiden.
Ich war f einen Blick auf den Barkeeper, der unter verspiegelten und beleucht e te n Regalen mit vielen bunten Flaschen stand, und Cocktails mixte. Ich fragte mich, ob er auch ein Vampir war .
„Trink das.“
Ich zögerte, aber als ich sah, dass Julian ebenfalls zu seinem Glas griff, nahm ich einen kräftigen Schluck, verzog das Gesicht und hustete.
Ich sah Julian an, mein Herz klopfte und meine Knie wurde n weich, und das hatte weder etwas mit dem hochprozentigen Getränk zu tun noch mit einer pos t traumatischen B e lastungsstörung. Verflixt. Meine Gefühle für Julian waren immer noch da, so sehr ich mich auch gegen sie wehrte. Aber ich wusste nicht, wie ich sie einordnen sollte. Galten sie wirklich ihm? Oder war ich nur ein Opfer seiner charismatischen, vampirischen Ausstrahlung? So wie Christian?
Julians Gesicht zeigte wieder diesen gleichgültigen Ausdruck, den ich bereits aus der Phi l harmonie kannte .
„Wie geht es dir?“, fragte er höflich.
„Danke, es geht wieder“, sagte ich leise.
„Gut. Den Vortrag über die Gefahr, in die du dich gebracht hast, werde ich mir sparen.“
Das hielt ich für eine gute Idee.
„Es war Christian, der dich zu dem Tor geführt hat“, stellte er fest.
„Er hat mich nicht dorthin geführ t, ich bin allein …“
„Christian ist ein Vertrauter der Gemeinschaft“, unterbrach er mich. „Er hat hohe Ziele, die er wohl nie erreichen wird, wenn er unser Vertrauen derart mis s braucht. Nicht zum ersten Mal, übrigens.“
„Christian weiß nicht, dass ich hier bin. Eigentlich ist es sogar so, dass ich sein Vertrauen missbraucht habe.“
„Das hast du“, bestätigte Julian. „Aber er war es, der sein Wort gebrochen und geredet hat.“ Er streckte die Hand aus und strich mir fast widerwillig durch mein Haar, schob eine Strähne hinter mein Ohr und zog seine Finger sofort wieder zurück. Er schien mein Haar zu mögen, auch wenn es die falsche Farbe hatte , und mir tat es gut, seine Berührung zu spüren.
„Du weißt jetzt, wer und vor allem was ich bin.“
Ich betrachtete seine Hände, nickte und schwieg, denn ich wusste schon wieder nicht, was ich sagen sollte. Dann gab ich mir einen Ruck. „Du bist tatsächlich … ein Vampir.“
„Und wenn es so wäre ?“, fragte Julian ruhig. „Wie würdest du mit diesem Wi s sen umgehen?“ Seine grauen Augen sahen mich an, und deren Unbeweglichkeit e r schreckte mich.
Daran erkennt man den Menschen. An seinen Augen.
Die eines Dämons sind alles andere als menschlich.
Julians Augen auch nicht. Nicht immer , so wie jetzt .
Ein beklemmendes Gefühl breitete sich in meinem Körper aus. Nicht zum er s ten Mal spürte ich Angst in seiner Nähe. „Ich werde … würde es selbs t verstän d lich für mich b e halten“, sagte ich sorgfältig.
„Darf ich das überprüfen, Ellen? Läßt du es zu?“
Wovon redete er? Aber i ch nickte,
Julian drehte leicht den Kopf. Sein Gesicht zeigte Leere, aber da war etwas in seinem Blick, das nicht menschlich war und mich zutiefst erschreckte. Er war mir jetzt fremd und so beängstigend, dass es mir schwerfiel, in ihm den Mann wiede r zufinden, de m ich mich schon so nahe fühlte . Als sein Blick sich veränderte, i n tensiver wurde , keuchte ich erschreckt, und für einen Moment war ich unfähig, mich zu rühren.
„Du hast die Wahrheit gesagt“, bestätigte er und ließ meinen Blick wieder lo s.
„Mir würde ohnehin niemand glauben“, sagte ich wütend. Verdammt, ich wol l te keine Angst vor ihm haben, keine so große.
„Da täuschst du dich. Es gibt … Menschen und … Andere, die dir nur zu gern glauben würden. D ie bestimmte Informationen über unsere Gemeinschaft durc h aus zu schätzen wüssten. Deshalb ist es auch besser für dich, wenn du so wenig wie möglich weißt.“
Seine langen Finger strichen nachdenklich über das glatte Holz der Tischplatte. Ich musste daran denken, dass er das mit der Tischdecke im Palmengarten auch gemacht hatte . Was konnte wohl menschlicher sein, als diese kleine Geste, eine solche Angewohn heit?
„ War um bist du eigentlich gegangen?“, fragte ich. „In der Nacht, bei mir zu Hause?“
Julian wirkte überrascht. „Ich hatte dir ja gesagt, dass dir eigentlich noch eine Erklärung zusteht“, meinte er schließlich. „Ich musste gehen, weil ich mir selbst nicht
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