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Novembermond

Novembermond

Titel: Novembermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Heyden
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Regen prasselte gegen das gläserne Dach über mir, und ich blickte auf die Uhr. In zehn Minuten musste ich im Gruppenraum sein. Ich bog in einen der Verbi n dungsgänge, und Dr. Meyer kam mir entgegen. Sein Gesichtsausdruck zeigte ruhige Zufriedenheit, und ich fragte mich, ob das Essen heute ausnahm s weise geschmeckt hatte .
    Als Dr. Meyer mich erkannte, verlor sein Gesicht den entspannten Au s druck, und er sah nervös nach rechts und links, als hielte er nach einem Flucht weg Au s schau. Ich lächelte süß. Sein weißer Kittel zeigte rote Spritzer auf der Brust. Da er Psychiater war und kein Chirurg, tippte ich auf Spaghetti Bolog nese, die jeden Donnerstag auf der Speisekarte standen . Der Einfallsreichtum unserer Küche war ei n fach nicht zu über bieten.
    „Dr. Meyer? Ich habe eine kurze Frage.“
    Er blieb mit hängenden Schultern stehen.
    „Welche Krankenkasse hat den Aufenthalt von Herrn Hartmann b e zahlt?“
    Dr. Meyer zeigte mir gegenüber zum ersten Mal deutliche Anzeichen von U n willigkeit, was ich ihm nicht einmal verdenken konnte , da ich ihn heute bereit s drei Mal auf die Entlassung von Christian Har t mann angesprochen hatte .
    „Der Patient Hartmann war bewusstseinsklar, voll orientiert und frei von Symptomen“, e r klärte Dr. Meyer ungefragt. „Er hat nachdrücklich den Wunsch nach Entlassung geäußert. Selbst- und Fremdgefährdung konnte n inzwi schen ausgeschlossen werden. Es gab also keine Indikation für eine längere Unterbri n gung in der geschlossenen Abteilung. Zumal wir jedes freie Bett bra u chen.“
    „Das weiß ich doch“, bestätigte ich nachsichtig. „Ich möchte nur wissen, we l che Kranke n kasse seine Rechnung bezahlt hat.“
    „ Herr Hartmann wurde gegen neun Uhr abgeholt“, sagte Dr. Meyer apa thisch. „ Und die Rechnung für seinen Aufenthalt bezahlt. Er ist privat versichert.“
    Privat versichert? W enn das der Chefarzt gewusst hätte , wäre Christian Har t mann sofort auf seine r Privatstation gelandet . Aber ich hatte noch eine wichtige Frage und starrte Dr. Meyer eindringlich an. „Wie sah der Mann aus , der ihn abgeholt e ?“
    Dr. Meyer starrte zurück. Seine professionelle Maske schien ihm kurz zu en t gleiten. „Ein älterer, grauhaariger Herr. Mit Vollbart und Brille“, sagte er, womit er Julian ausschloss. „Soweit ich weiß, hat er im Büro bar bezahlt.“
    „In bar?“ Das war mehr als merkwürdig.
    Aber Dr. Meyer zuckte nur die Achseln und setzte erleichtert seinen Weg fort. Das waren nicht die Merkwürdigkeiten menschlichen Verhaltens, für die er sich zuständig fühlte.
    In der Teamsitz ung am späten Nachmittag erzählte der Chefarzt gut gelaunt von einer hohen Spende, die die Klinik zugunsten der geschlossenen Station e r halten hatte . Dabei strahlte er über das ganze G e sicht.
    Eine Spende? Ausgerechnet für die Geschlossene? Das war sehr ung ewöhnlich, die Psychiatrie stand so gut wie nie im Fokus der Sponsoren. Ich griff zum Tel e fon und nutzte meine gute Beziehung zu der einzigen Abteilung, der nichts entging, was in der Klinik vorging. Zur Buchhaltung. Dort fand ich heraus, dass es sich um eine Spende der Darnburg-Stiftung handelte.
     
    Die Sache ließ mir den ganzen Tag keine Ruhe. Und am Abend auch nicht. Selbst meine Lieblingsserie Leidenschaft in Weiß konnte mich nicht ablenken. Wä h rend der gut aussehende Gynäkologe in eine Intrige des hässlichen und vollbärt i gen Internisten hineinstolperte, die ihn sofort wieder aus den Armen der schönen und sanftmütigen Kinderärztin katapultierte, kreisten meine Gedanken um ganz and e re Proble me.
    Sie betrafen den verschwundenen Kreis auf me i ner Haut, Julian und Christian Hartmann s seltsame Blitzheilung. Vielleicht sollte ich ihn anrufen und ihm em p fehlen, regelmäßig einen Psychiater und einen Psychotherapeuten aufz u suchen. Man hatte ihm das b e stimmt schon bei seiner Entlassung nahegelegt, aber es würde ihm sicher nicht schaden, diese Empfe hlung nochmals zu hören. Bei dieser Gelegenheit kö nnte ich ihm gleich noch einige Fragen stellen. Diesen Julian wü r de ich ebenfalls anrufen. Ich brauchte Antworten , und er schuldete mir noch eine wichtige E r kl ärung . Oder ich mir selbst.
    Andererseits … Es ist doch alles in Ordnung, sagte die vernünftige Stimme in mir. Da war nichts an meinem Unterarm , und Christian Hartmann erholte sich von seinem Klinikaufenthalt. Ich könnte die letzten Tage einfach vergessen, au f hören, nach Antwo rten zu suchen.

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