Novembermond
Weitermachen wie bisher. Aber Vernunft hatte noch nie zu meinen Stärken gehört. Oder mich mit offenen Fragen ab z u finden .
Am nächsten Mor gen rief ich die Telefonnummer der Nacht-Patrouille aus dem Internet an und fragte nach Christian Har t mann . Die freundliche, weibliche Stimme bedauerte hö f lich, mich über Herrn Hartmann s Urlaub informieren zu müssen. Julian? Ich hatte den Ei n druck, dass ihre Stimme noch förml icher wurde . Gewiss, Julian sei grundsätzlich auch über diese Nummer er reichbar, nicht nur über die der Stiftung. Leider sei er immer sehr beschäftigt. Und mein Anliegen? Denn sicher könnte mir auch jemand a n ders weiterhelfen. Nein? Wirklich nicht? Und Julian wisse, in welcher Angelege n heit? Dann würde er mich sicher gern zurückrufen. Aber frühestens gegen Abend. Ungeduldig gab ich der freundlichen Stimme meine Durchwahl.
Die Stapel auf meinem Schreibtisch hatte n sich z war etwas gelichtet, aber fre i tags wurde n viele Patienten entlassen , und deren Akten kamen hinzu . Der schöne Spruch „Freitag ab eins macht jeder Seins“ galt leider nicht für mich.
Wir verbrachten ruhige Stunden, meine Berichte und ich. Es war fast schon sechs Uhr abends, als das Telefon klingelte.
„Langner?“
„Sie hatte n um Rückruf gebeten.“
Dieser Mann hielt es wohl für überflüssig, seinen Namen zu nennen. Nicht o h ne Grund. Mein Magen schlug einen Purzelbaum. Ich hatte ganz verge ssen, dass Julians Stimme genauso attraktiv war wie sein Äußeres. E t was rau, etwas heiser. Eine einzige Verführung.
„Vielen Dank für Ihren Anruf“, sagte ich. „Ich wollte mich gern persö n lich für den Scheck bedanken, den Sie der Klinik ausgestellt haben.“
„Die Klinikleitung hat der Stiftung bereits ihren Dank ausgesprochen“, meinte er kühl. „Das erscheint mir mehr als ausreichend.“
Herrje, das war kein guter Einstand. „Außerdem bin ich noch immer sehr mit der Genesung von Christian Hartmann beschäftigt. Ich frage mich …“ Ich zöge r te und ärgerte mich, mir meine Worte nicht sorgfältig zurechtgelegt zu haben. „Ich möchte Sie bitten, mir aus Ihrer Sicht zu erzählen, was am Mittwoc h abend geschehen ist und zu seiner überraschend schnellen Gen e sung beigetragen hat. Damit wir in ähnlichen Fällen künftig noch besser reagieren können.“ Ich fand, dass ich mich diesmal sehr diplomatisch aus der Affäre gezogen hatte , und klop f te mir anerkennend auf die Schulter. So fort nach seine m B e richt würde ich unser Gespräch zu diesem Kreis an me inem Handgelenk lenken . Mir würde schon e t was ei n fallen.
„Aus meiner Sicht?“, wiederholte er verblüfft. A m anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen. „Einverstanden. Allerdings bin ich der Meinung, dass dieses Thema nicht für ein Telefonat geeignet ist. Was halten Sie also davon, Frau Langner, wenn wir alles Wichtige persönlich besprechen? Vielleicht bei e i nem Abendessen, zu dem ich Sie gern einladen würde. Haben Sie heute Abend Zeit?“
„Oh …?“ Wo hatte ich mich jetzt hineinmanövriert? „Das ist leider etwas kur z fristig, ich bin bereits verabredet“, log ich geistesgegenwärtig.
„Dann morgen, am Samstag?“, fragte Julian unbeeindruckt. „Vielleicht ist I h nen auch der Sonntag lieber? Oder ein anderer Tag der nächsten Woche?“
Würde er jetzt nacheinander alle Tage bis Weihnachten abfragen? H atte der Mann keine Familie? Oder Freunde? Er sah nicht so aus, als würde er jeden Abend allein vor dem Fer n seher verbringen. „Eigentlich möchte ich Ihnen nicht so viel Mühe bereiten“, sagte ich sachlich. „Mir würde es völlig g e nügen …“
„Ich würde es durchaus nicht als Mühe bezeichnen, Sie zum Abendessen einz u laden“, widersprach er prompt. W äre sein Tonfall etwas freundlicher gewe sen, hätte das eine durc h aus charmante Bemerkung sein können. „Haben Sie also morgen Zeit? Ich hole Sie selbs t verständlich zu Hause ab.“
Das Schweigen blieb ab war tend, aber unnachgiebig, und endlich begriff ich, dass er nicht locker lassen würde. „Sie wissen ja bereits, wo ich wohne“, gab ich wenig begeistert nach.
„Ich hole Sie um sieben Uhr ab. Guten Abend.“ Er legte einfach auf. Ich hielt noch eine ganze Weile den Hörer in der Hand.
Dieser Julian hatte mich einfach überrollt, und ich war dumm genug, es schon wieder zuz u lassen.
*
Julian starrte auf das Telefon.
Er glaubte, Ellen vor sich zu sehen. Beim ersten Mal auf Schwanenwerder . U nd
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