Novemberrot
ihn an: »Heinrich ist der Vater! Er hat schließlich in den letzten Jahren bewiesen, dass er für uns sorgen kann. Und du? Du bist doch nur tot!« Bergheim löste bleich mit gesenktem Kopf nach diesen schmerzhaften Worten die Griffe und Maria entschwand augenblicklich durch die eiserne Hoftür. Elzer, dem Michaels Gebrüll nicht entgangen war, eilte wenig später zu seinem Nachbarn. Doch der war verschwunden. Die Haustür offen stehend, das Werkzeug im Hof liegend, ohne auch nur die geringste Spur von ihm. Elzer suchte jeden Winkel des kleinen Gehöftes ab. Er konnte jedoch nur feststellen, dass wohl etwas Kleidung, wie zum Beispiel ein Mantel, der olivgrüne Stoffbeutel, den Michael aus der Gefangenschaft mitgebracht hatte und einer der Pflasterer-Hämmer fehlten. Der Haustürschlüssel steckte ebenfalls noch im Schloss. Elzer verriegelte also alle Türen in der Annahme, dass sein Nachbar sicherlich etwas Dringendes erledigen musste und abends wieder zurück war. Aber Bergheim kehrte nicht mehr zurück.
Es war ein trister Novembertag, als Heinrich Kreismüller gegen 22 Uhr nach dem Genuss zahlreicher Biere angetrunken aus dem Wirtshaus Zur Post in Mayberg auf die Straße trat, um mit seinem vor dem Lokal abgestellten Traktor Marke »Lanz HN3« – umgangssprachlich aufgrund dessen enormer Höchstgeschwindigkeit von fast 35 Kilometern pro Stunde auch »der Eilbulldog« genannt – den Nachhauseweg anzutreten. Es regnete Bindfäden und er schlug seinen Mantelkragen hoch. Das Licht der auf der anderen Straßenseite positionierten Laterne erhellte diesen Bereich nur spärlich. Der Bauer stand an seinem Gefährt und musste sich kurz an der Hinterradabdeckung aufgrund seines alkoholisierten Zustandes abstützen, da trat unerwartet aus dem Dunkel eine Gestalt ins matte Licht. Kreismüller, zwar die Umrisse der Figur erkennend, wischte sich wankend die Regentropfen aus den Augen .
» Wer bist du? Los, zeig mir dein Gesicht«, stammelte er besoffen. Die geheimnisvolle Gestalt tat ihm den Gefallen, trat einen Schritt vor und nahm die Kappe ab. Der Schein der Straßenlampe erhellte nun ein wenig mehr das Antlitz des Unbekannten. Kreismüller, der plötzlich erkannte, wen er da vor sich hatte, brachte nur »Bergheim« schockiert heraus. Und noch ehe Heinrich realisierte wie ihm geschah, hatte Michael ihn mit einem Hieb in die Kniekehle und einem gleichzeitigen Schlag gegen seine Brust zu Boden geworfen. Hilflos auf dem Rücken im Matsch liegend fand er sich wieder, und Bergheim kniete bereits auf seinem Oberkörper. Alles ging so schnell, dass Kreismüller nicht auch nur die geringste Möglichkeit der Gegenwehr hatte. Michael hielt mit seiner Linken Heinrich am Kragen fest, mit der Rechten zog er aus seiner Manteltasche einen Pflasterer-Hammer und schmetterte diesen mit einem kräftigen Hieb in Richtung von Heinrichs Kopf. Der Hammer schlug unmittelbar neben dem linken Ohr des wehrlosen Kreismüller dumpf in den Schlamm. Quasi den eigenen Tod schon vor Augen, blieben dem Bauern selbst seine Angstschreie quälend im Halse stecken .
» Irgendwann bist du fällig, du Verräter!«, zischte Michael scharf .
» Aber wegen dir Abschaum noch zum Mörder werden, nein danke!« Dies waren die letzten Worte, die Kreismüller je von Michael vernahm. Bergheim stand sogleich auf, steckte den Hammer wieder in seine Manteltasche und verschwand rasch im Dunkel der Nacht. Heinrich, immer noch nach Luft und Fassung ringend, brauchte noch eine ganze Weile, ehe er sich aufrappeln und den Heimweg antreten konnte. Er erzählte niemandem von diesem Vorfall.
Da Bergheim auch in den folgenden Tagen wie vom Erdboden verschluckt war, schossen wilde Spekulationen bezüglich dessen möglichen Verbleibs ins Kraut. So munkelten die einen, dass es ihn mit Sicherheit wieder zurück nach Norwegen gezogen habe und andere setzen gar noch einen drauf, indem sie orakelten, er sei über den großen Teich nach Amerika ausgewandert. Zwei Wochen nach Michaels Verschwinden fand man einige seiner Kleidungsstücke am Ufer der Nette im Gestrüpp hängend vor. Da der Fluss zurzeit Hochwasser führte, mutmaßten nun alle, dass er ertrunken sei .
» Schließlich war er dort immer wieder zum Holz sammeln gewesen, ist bestimmt ausgerutscht, ins eiskalte Wasser gefallen und die reißende Strömung hatte schließlich den Rest besorgt .
» Den findet niemand wieder. Der ist doch längst im Rhein«, lautete der einstimmige Tenor. Das Einzige, was unumstößlich feststand,
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