Novemberrot
hätten die Unterschiede nicht deutlicher ausfallen können. Weller einsfünfundachtzig groß, schlank, durchtrainiert, dunkelgrauer perfekt sitzender Anzug, dazu ein weißes Hemd mit passender Krawatte, dunkles kurzes Haar mit Seitenscheitel, kurz gesagt Typ John F. Kennedy. Sein neuer Kollege Schuster spiegelte dazu das glatte Gegenteil wieder. Außer der Fastglatze und dem altmodischen Gestell auf der Nase, kam er in sehr biederer Kluft daher. Das beige Hemd hing hinten etwas aus der dunkelbraunen, mit breiten Trägern befestigten Hose heraus. Und den Bauchansatz konnte er auch durch noch so starkes Luftanhalten nicht auf Dauer verbergen .
» Du scheinst gut im Training zu sein«, stellte Winfried bewundernd fest. Was er nicht wusste war, dass Fritz, bevor er die Ausbildung zum Kommissar beendete, intensiv den Modernen Fünfkampf betrieb. Er stand sogar vor den Olympischen Sommerspielen 1964 von Tokio im erweiterten Aufgebot der Olympiamannschaft. Nur eine Verletzung an der Achillessehne unmittelbar vor dem entscheidenden Qualifikationswettkampf machte damals seine aussichtsreichen Chancen zunichte. Gefrustet davon beendete er kurz darauf seine sportliche Karriere. Seitdem war er weder geritten noch hatte er mit dem Degen gefochten. Schießen, als Teil der Ausbildung, sowie Laufen und Schwimmen in reduzierten Maßen behielt er dennoch konsequent bei .
» Ich halte mich bloß ein bisschen fit«, erwiderte Weller untertreibend und erntete erstauntes Kopfnicken seines Gegenübers .
» Ich kann mir sicherlich gut vorstellen, dass Burgstadt nicht mit Berlin zu vergleichen ist, aber du wirst sehen, auch hier ist ab und zu wirklich die Hölle los«, sagte Schuster, der den leicht verstörten Gesichtsausdruck seines neuen Kollegen bemerkt hatte .
» Es ist doch schön, noch mal kurz vor dem Ruhestand einen neuen Partner zu bekommen. Schorsch ist letzte Woche verabschiedet worden«, sagte Schuster wehmütig seufzend und deutete auf den linken Schreibtisch .
» Ja, beinahe fünfzehn Jahre haben wir zusammen gearbeitet. Na ja, im April 68 ist dann für mich auch Schluss«, erklärte er dem Neuen weiter. Mit dem Gedanken im Kopf »Mensch wo bist du denn hier nur hingeraten« und dem Eindruck des typischen 60er Jahre Kleinstadt Miefs antwortete Weller kurz: »Na, dann bin ich ja mal gespannt, was mich hier erwartet.«
Die erste Zeit logierte Fritz in einem Apartment des städtischen Polizeiwohnheims. Karin, seine Verlobte, blieb vorerst in Berlin. Sie hatten geplant, dass nachdem er sich eingelebt hatte, beide in Burgstadt eine gemeinsame Wohnung beziehen würden. Die Worte »du wirst schon sehen, auch hier ist ab und zu die Hölle los«, die ihm sein Partner am ersten Tag mitgegeben hatte, waren das Einzige, was ihm in dieser Zeit ein wenig Hoffnung auf richtige Aufgaben und knifflige Fälle einflößte. Denn außer lapidaren Bagatellen, einfachen Einbrüchen, oder mal einer Schlägerei war hier absolut nichts los. Das hieß in erster Linie Schreibtischarbeit für Fritz und er fragte sich des Öfteren, ob sich dafür die ganze Plackerei in der knüppelharten Ausbildung wirklich gelohnt hatte. Denn wenn er ehrlich zu sich selbst war, so hatte er sich seinen späteren Beruf damals sicherlich nicht vorgestellt. Doch dann kam dieser Tag im November 1967, an dem Schuster und Weller zu einem Leichenfund nach Mayberg gerufen wurden. Freudig erregt aufgrund seines, so wie er sagte, ersten richtigen Falles war Fritz vor Eifer kaum zu bremsen.
Kapitel 2
Kommissar Weller kam es so vor, als sei die Geschichte erst vor kurzem geschehen, denn so präsent waren auf einmal die Bilder in seinem Kopf. Sie beschäftigen ihn so stark, dass er beinahe die Einfahrt nach Mayberg verpasste und daher fast zu einer Vollbremsung gezwungen war. Der hinter ihm fahrende Opel Ascona wurde so zu einem Schlenker nach links genötigt, sonst hätte es mit Sicherheit ordentlich gescheppert. Weller, erleichtert durchatmend, sah noch, wie der Fahrer des Opels wild gestikulierend seinen Weg nach diesem halsbrecherischen Manöver fortsetzte. Den Fundort der Leiche hatte die Bereitschaftspolizei aus St. Josef bereits mit gelbem Kunststoffband abgesperrt und er war somit von der Chaussee aus gut zu erkennen. Die Stelle lag direkt am Ortsrand, links neben der in den Ort führenden Straße. Außer dem Gerichtsmediziner war auch Kommissarin Steffi Franck, seine achtundzwanzigjährige Kollegin, bereits seit einer halben Stunde vor Ort. Zudem hatten sich einige
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