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Novemberschnee

Novemberschnee

Titel: Novemberschnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Banscherus
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Zwerg.
    Ich weiß nicht, was Tom in diesem Augenblick tat, er stand schräg mit dem Rücken zu uns. Vielleicht tat er überhaupt nichts, wunderte sich nur, dass ihm die Mütze übers Gesicht gerutscht und es plötzlich dunkel war. Jedenfalls griff der Kassierer hastig hinter sich, legte ein Päckchen Geldscheine nach dem anderen vor sich auf die Theke und schob den Haufen schließlich durch die Öffnung in der Scheibe zu Tom hinüber. Dabei redete der Mann ununterbrochen auf ihn ein, redete, als ob es um sein Leben ginge. Seine Kollegen waren aufgesprungen und hielten die Hände über ihre Köpfe. Es sah lustig aus, wie sie dort aufgereiht standen.
    Tom zögerte, drehte sich mit der Mütze über dem Gesicht zu uns um und zuckte mit den Schultern. Dann verstaute er das Geld hastig in den Taschen seines Anoraks. Dabei stellte er sich so ungeschickt an, dass ein paar Scheine auf den Boden fielen.
    Im ersten Augenblick wollte ich laut loslachen, musste mir die Hand vor den Mund halten, um es nicht zu tun. Irres Spiel, ging es mir durch den Kopf, jetzt machen sogar die anderen Bankangestellten mit. Gleich wird Tom die Scheine wieder auspacken, dachte ich da draußen auf unserem Beobachtungsposten, natürlich wird er das, der ist doch nicht blöd. Und alle werden losprusten und sich gegenseitig auf die Schultern klopfen und Tom wird lachend herauskommen. Und das wird dann unser Bankraub gewesen sein und wir werden traurig sein, dass der Spaß schon vorbei ist.
    Aber Tom gab die Scheine nicht zurück. Stattdessen drehte er sich zur Tür, um wegzurennen. Doch da stand plötzlich diese kleine alte Frau hinter ihm, wie aus dem Nichts war sie aufgetaucht. Sie trug einen komischen viereckigen Hut und hielt eine Einkaufstasche in der Hand. Vielleicht war sie gerade an ihrem Schließfach gewesen oder auf der Toilette im Keller der Sparkasse, das werden Sie besser wissen. Oder sie hatte sich von Anfang an in der Bank aufgehalten und war mir nur nicht aufgefallen. Jedenfalls rannte Tom gegen sie, rammte sie mit seinen neunzig Kilo – und beide fielen hin. Er war sofort wieder auf den Beinen, die Frau blieb verkrümmt und regungslos liegen.
    Und die Leute von der Bank? Die standen immer noch mit hochgereckten Händen da, unbeweglich wie Puppen.
    Im nächsten Augenblick kam Tom aus der Tür gestürzt. »Nichts wie weg!«, schrie er. »Los!«
    Ich hielt ihn am Armel fest. »Aber …«, begann ich.
    Tom riss sich los. »Wir müssen abhauen!«, schrie er und sprang auf sein Rad.

4.
    Jurij und ich hätten bleiben, wir hätten auf die Polizei warten und von unserem Spiel erzählen sollen. Aber wir taten es nicht, leider, wir waren wie abgeschaltet. Ohne weiter darüber nachzudenken, was da gerade in der Bank passiert war, schwangen wir uns auf die Räder und rasten hinter Tom her. Wir fragten uns nicht, warum er zum Steinbruch fuhr, warum wir nicht aus der Stadt verschwanden. Wir folgten ihm, als ob wir von irgendwoher ferngesteuert würden. Auf der Fahrbahn war die Schneedecke wieder gewachsen, zu allem Unglück hatte der Sturm gedreht. Er peitschte uns nassen Schnee in die Augen. Dann waren Sirenen zu hören. Doch vielleicht bildete ich mir das auch nur ein, kann sein, es war bloß das Pfeifen des Windes.
    Als wir auf den Weg zum Steinbruch einbogen, passierte es. Jurij und ich fuhren nebeneinander, hatten beide Schwierigkeiten, unsere Räder in der Spur zu halten. Im Scheitelpunkt der Kurve berührten wir uns kurz mit den Ellenbogen, es war nicht einmal ein besonders starker Stoß. Doch Jurij verlor das Gleichgewicht, kam ins Rutschen, stürzte schwer auf einen Stein und blieb mit schmerzverzerrtem Gesicht liegen.
    »Tom!«, brüllte ich. »Tom! Warte!«
    Doch der schien mich nicht zu hören. Wie ein Wahnsinniger raste er auf unsere Hütte zu.
    »Das Knie ist kaputt!«, stöhnte Jurij, als ich mich über ihn beugte.
    Ich zog das Rad unter ihm hervor. »Wir müssen hier weg«, sagte ich.
    Mühsam richtete Jurij sich auf. »Das Knie ist kaputt«, wiederholte er ächzend.
    »Schaffst du es bis zur Hütte?«, fragte ich.
    Er nickte stumm.
    Wir brauchten eine kleine Ewigkeit. Alle paar Meter mussten wir stehen bleiben. Jurij fluchte leise auf Russisch vor sich hin. Vielleicht sprach er auch ein Gebet, keine Ahnung. Jedenfalls schleppte ich ihn in die Hütte, der Schweiß lief mir dabei in Strömen den Rücken hinunter. Jurij sackte auf einer der alten Matratzen zusammen, ich holte unsere Räder herein und stellte sie zu Toms Mountainbike

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