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Novemberschnee

Novemberschnee

Titel: Novemberschnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Banscherus
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plötzlich: »Australien.«
    Es war nicht das erste Mal, dass er uns ein einzelnes Wort an den Kopf warf. Mir war es immer vorgekommen, als ob darin alles steckte, worüber er in den letzten Tagen nachgedacht hatte. Autotypen. Filmschauspielerinnen. Oder irgendwas Kasachisches.
    »In Australien ist jetzt Sommer«, erklärte er. »Dreißig Grad im Schatten. Mindestens.«
    »Und was haben wir davon?«, fragte ich und zog den Reißverschluss meines Anoraks hoch. »Sollen wir hinschwimmen?«
    Jurij beachtete mich nicht. »Habt ihr schon mal was vom Ayers Rock gehört, dem heiligen Berg der Ureinwohner?«, fragte er, drehte sich auf den Rücken und starrte zur Decke. Ohne unsere Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Natürlich nicht. Hätte ich mir denken können. Oder vom Barrier Reef, dem größten Korallenriff der Welt? Nein? Mann, ihr wisst aber auch gar nichts! Gegen Australien ist Deutschland das reinste Kuhkaff. Ein kleines, beschissenes Regenloch.«
    »Der Flug dauert 24 Stunden«, sagte ich. »Mindestens. Wovon sollen wir den bezahlen?«
    Tom ließ sich schwer in einen der Sessel vom Sperrmüll fallen. Es war ein Wunder, dass das Ding nicht auf der Stelle in seine Einzelteile zerfiel. Eine Weile schaute Tom Jurij an. Dann lächelte er auf einmal. »Eine Bank«, sagte er. »Dann haben wir genug Geld.«
    »Was?«
    »Wir überfallen eine Bank, Lina«, sagte er. »Und hauen ab. Meinetwegen nach Australien. Hauptsache, es ist warm.«
    »In Ordnung«, sagte ich. »Überfallen wir eben eine Bank. Kein Problem, Tom.«
    »Alles klar«, sagte Jurij. »Ich bin dabei.«
    Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, fingen wir an zu planen. Keiner von uns dreien dachte an diesem eiskalten Nachmittag im Traum daran, wirklich eine Bank zu überfallen. Es war nichts als ein verrücktes Spiel, bei dem es bloß eine Regel gab: Niemand durfte sagen, dass es ein Spiel war. Das hielten wir durch. Ziemlich lange.
     
    Die Sparkasse in der Luisenstraße sollte es sein. In unserem Kaff gibt es für Raubüberfälle keine große Auswahl: die Post, zwei Banken, den Supermarkt, vier Kneipen, ein Blumengeschäft und Murats Döner-Bude. Die Sparkasse wählten wir aus, weil sie unmittelbar an der Kreuzung liegt. Wenn wir abhauen mussten, würde das ein Vorteil für uns sein, hatten wir uns überlegt. Außerdem arbeiteten in der Bank normalerweise nur drei, höchstens vier Angestellte. Die konnten wir leicht in Schach halten.
    Tagelang trieben wir uns im Ort herum, beobachteten unauffällig, was in den Räumen der Sparkasse geschah. Wir prägten uns ein, in welcher Reihenfolge die Angestellten zur Arbeit kamen und wann sie am Nachmittag nach Hause fuhren. Wir notierten, wann es an den Schaltern viel zu tun gab und wann es ruhiger zuging. Und das Wichtigste – wir schrieben auf, wann die gepanzerten Transporter eintrafen, um das Geld abzuholen.
    Irgendwann waren wir uns sicher. Nach unseren Beobachtungen – die Aufzeichnungen müssten eigentlich noch in der Hütte im Steinbruch liegen, am Fenster ist ein Versteck unter einem lockeren Bodenbrett – war der frühe Mittwochnachmittag der günstigste Zeitpunkt für einen Überfall. Der Geldtransporter der Sicherheitsfirma würde gegen vier eintreffen. Dann waren wir längst über alle Berge.
     
    Sie finden uns naiv, geben Sie es ruhig zu. Sie können sich als Anwalt nicht vorstellen, dass wir nicht wussten, dass Geldtransporter aus Sicherheitsgründen manchmal von Tag zu Tag ihre Route ändern. Dass man sich dafür doch bloß irgendeinen Fernsehkrimi anzusehen braucht. Nein, wir haben es nicht gewusst. Oder wir haben nicht dran gedacht. Zugegeben, unser Plan war nicht perfekt, welcher Plan ist das schon. Aber Sie dürfen nicht vergessen, wir spielten ein Spiel. Keine Langeweile haben, sich schon in der Schule auf den Nachmittag freuen – können Sie sich überhaupt vorstellen, was das bedeutet? Nicht mal Regen und Kälte hielten uns von unseren Vorbereitungen ab.
     
    Irgendwann kauften wir im Supermarkt Wasserpistolen und lackierten sie schwarz. Hinterher sahen sie fast wie echt aus.
    Um den Überfall zu trainieren, fuhren wir in den Stadtwald. Die Grillhütte am Eisenberg sollte die Bank sein, ich die Kassiererin. Mit gezückten Waffen stürzten Jurij und Tom aus dem Gebüsch auf mich zu und riefen: »Hände hoch! Geld her!«
    Wir starben beinahe vor Lachen. Wie sollte ich mit erhobenen Händen Geld rausrücken? Vielleicht mit den Zähnen? Doch wir machten weiter, wurden mit jedem Tag besser und

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