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Novemberschnee

Novemberschnee

Titel: Novemberschnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Banscherus
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antwortete ich. »Es ging alles so schnell.«
    Bevor Tom noch etwas sagen konnte, waren Sirenen zu hören. Und diesmal gab es keinen Zweifel. Sie näherten sich dem Steinbruch. Eindeutig.
    »Wir müssen abhauen«, rief Tom. »Sofort!«
    »Seid doch vernünftig«, sagte ich. »Wir können nicht nach Australien. Wir kommen nicht mal bis ins Flugzeug.«
    Jurij zog mich an der Jacke. »Es ist zu spät, Lina. Wenn sie uns kriegen, stecken sie uns in den Knast.«
    Draußen schlug uns ein eiskalter Wind ins Gesicht. Aber der Schneefall hatte zum Glück nachgelassen. Wir hatten keine Zeit mehr, die Tür zu verriegeln, das Geräusch der Sirenen wurde von Sekunde zu Sekunde lauter. Während wir in Richtung Straße liefen, zog Tom einen Zweig hinter sich her. Wahrscheinlich wollte er damit unsere Spuren verwischen, es war einfach lächerlich. Wir kamen viel zu langsam voran, Jurij hinkte stark, immer wieder musste er stehen bleiben.
    Wir hatten gerade die Straße erreicht, da hörten wir wieder die Sirenen. Sie waren nicht mehr weit entfernt, schienen sich direkt auf uns zu zubewegen.
    »Los!«, rief Tom und begann einen steilen Hang hinaufzuklettern, dorthin, wo die Bank steht, von der aus man über den ganzen Ort sehen kann. Wieder rannten wir hinter ihm her. Er zwang uns nicht dazu – trotzdem folgten wir ihm. An diesem Abend hatte Tom das Kommando.
    Oben wartete er ungeduldig auf uns. Ich zog den vor Schmerzen stöhnenden Jurij die letzten Meter hinter mir her, dann fielen wir neben Tom in den Schnee. Das Herz schlug mir bis zum Hals.
    Doch Tom gönnte uns keine Pause. »Weiter!«, kommandierte er und sprang auf.
    Und wir rannten. Den Abhang hinunter, über den Bach und den nächsten Hang wieder hinauf. Jurij biss die Zähne zusammen und hielt mit. Keine Ahnung, wie er das aushielt. Wir schlugen einen Bogen um den Rathausplatz. Hörten Sirenen, mal näher, mal weiter entfernt. Versteckten uns auf dem Gelände der alten Werkzeugfabrik. Drückten uns in Hauseingänge und Seitenstraßen. Obwohl ich vom Karatetraining eine riesige Kondition hatte, spürte ich irgendwann vor Anstrengung meine Beine nicht mehr. Unter meiner Skimütze lief mir der Schweiß übers Gesicht. Wir müssen die Dinger wegwerfen, ging es mir durch den Kopf, wir sind verrückt, sie immer noch zu tragen.
    »Wo ist eigentlich deine abgeblieben?«, fragte ich Tom, während Jurij und ich unsere Mützen in den Abfallkorb einer Bushaltestelle stopften.
    Tom schwieg.
    »Wo hast du deine Scheißmütze?«, schrie Jurij.
    »Halt die Schnauze!«, bellte Tom zurück. »Die hab ich vergessen, die Mütze.«
    »Wo?«
    Tom zögerte. »In der Hütte«, antwortete er schließlich.
    Mir verschlug es für einen Moment die Sprache. »Dann glaubt uns keiner mehr, dass die ganze Sache bloß ein Spiel war«, sagte ich.
    »Was Besseres können die von der Polizei sich gar nicht wünschen«, sagte Jurij.
    »Idiot«, sagte ich zu Tom. »Was bist du doch für ein verdammter Idiot!«
    Er wurde rot im Gesicht. »Es ist passiert, okay?«, brüllte er los. »Glaubt ihr vielleicht, ich hab das extra gemacht? Was wollt ihr eigentlich? Noch haben sie uns nicht. Also hört auf mit der Flennerei!«
    Schweigend liefen wir weiter. Ein paar Mal sah Tom mich von der Seite an. Aber ich tat so, als ob ich es nicht merkte. Ich wollte nichts mehr von ihm, nie mehr. Wenn wir in den Knast mussten, war er schuld. Er ganz allein!
    Jurij führte uns zum Supermarkt. Bei den schwierigen Straßenverhältnissen war kaum Betrieb, nur eine Hand voll Autos stand auf dem Parkplatz.
    »Zu gefährlich«, sagte Jurij.
    »Egal«, sagte Tom.
    »Ich hinke«, sagte Jurij. »Das fällt auf.«
    »Wir brauchen ein Auto«, sagte Tom. »Oder hast du Schiss?«
    Jurij stöhnte. »In Ordnung. Sobald ich an einem Wagen stehen bleibe, rennt ihr los.«
    »So schnell kriegst du das hin?«
    Jurij grinste. »Noch schneller, Lina.«
    Er humpelte auf den Parkplatz, versuchte sein verletztes Bein nicht nachzuziehen. Es gelang ihm nicht. Ein Mann und eine Frau kamen mit Tüten bepackt aus dem Supermarkt, für einen Augenblick schien Jurij sein Vorhaben abbrechen zu wollen. Doch dann ging er zügig weiter, ohne sich auch nur ein einziges Mal zu uns umzudrehen. Nerven hatte er, alle Achtung.
    Er wartete, bis der Mann und die Frau weggefahren waren. Dann ging er zu einem Mercedes, es war ein älteres Modell, ich kenne mich mit Autos nicht aus. Auf dem Dach lag eine mindestens zwanzig Zentimeter dicke Schneeschicht.
    »Los!«, zischte

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