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Novemberschnee

Novemberschnee

Titel: Novemberschnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Banscherus
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immer sie die Erlaubnis bekommen. Mein Vater macht sich Vorwürfe. Er hätte sich nicht genug um mich gekümmert, meint er. Was für ein Unsinn! Ich hätte wirklich nicht die geringste Lust gehabt, mit ihm am Nachmittag Halma zu spielen oder in den Zoo zu gehen. Nein, ich hab die Monate mit Jurij und Tom genossen, von solch einer Freundschaft hatte ich immer geträumt. Mein Vater hat keine Schuld, wenigstens sehe ich das so. Und meine Mutter? Die hat genervt, wie Mütter eben nerven. Alles ganz normal. Sie hat mich nicht aus dem Haus getrieben, auch wenn sie das jetzt glaubt.
    Ihre Nachricht aus der letzten Woche, dass Toms und Jurijs Eltern in dem Prozess als Nebenkläger auftreten werden, hat mich sehr traurig gemacht. Eigentlich müssten sie mich doch kennen, schließlich bin ich oft genug bei ihnen gewesen. Angenommen, ich hätte Tom und Jurij wirklich umgebracht – warum bin ich nicht einfach mit dem Geld abgehauen? Mit fünfzigtausend Mark wäre ich bis nach Feuerland gekommen oder in die Wüste Gobi. Wieso hab ich einen Arzt in die Alte Mühle geholt und mich damit der Gefahr ausgesetzt, erwischt zu werden? Warum hab ich das Geld, das mir Tom gegeben hatte, nicht an einem sicheren Ort versteckt? Ich hätte doch wissen müssen, dass es mich höchst verdächtig macht, wenn man die Scheine bei mir findet! Nein, ich glaube, die Eltern von Tom und Jurij haben inzwischen die Meinung der Zeitungen übernommen. Eiskalter Engel nennen mich die Journalisten. Ich sei berechnend und geldgierig, schreiben sie. Der eigentliche Kopf der Fahrradbande sei ich gewesen. So ein Blödsinn, es hat nie eine Bande gegeben. Und einen Boss schon gar nicht. Bloß drei, die sich mochten.
    In zwei Wochen ist es so weit. Obwohl die Öffentlichkeit bei dem Prozess ausgeschlossen ist, hab ich Angst. Es spricht verdammt viel gegen mich. Vielleicht hilft Ihnen ja dieser Bericht. Vielleicht haben Sie mich jetzt besser kennen gelernt als bei unseren Gesprächen.
    Wenn mir die Richter nicht glauben, drohen mir zehn Jahre, ich hab mich erkundigt. Höchststrafe für den eiskalten Engel werden sie in den Zeitungen schreiben. Wissen Sie, wie alt ich bin, wenn ich rauskomme? Fünfundzwanzig! Meine Mutter war zweiundzwanzig, als sie mich bekam … Dabei bin ich unschuldig, na gut, nicht ganz, ich gebe es zu. Man kann mir Beihilfe zum Autodiebstahl vorwerfen. Und der Einbruch in das Ausflugslokal war auch nicht in Ordnung. Dafür würden sie mir normalerweise Sozialdienst aufbrummen oder allenfalls ein paar Wochen Jugendarrest.
    Sie müssen unbedingt den Kassierer der Sparkasse und seine Kollegen in die Mangel nehmen, versprechen Sie mir das? Die können bestätigen, dass Tom sie nicht bedroht hat, dass er das Geld bekommen hat, ohne mit der Pistole rumzufuchteln. Wir hätten das von draußen gesehen, Jurij und ich, auch wenn Tom halb mit dem Rücken zu uns stand. Die Beweise müssen nicht gegen uns sprechen, finde ich. Jurij war in der Lage, jedes Auto zu knacken. Warum hätten wir für unsere Flucht unsere Fahrräder nehmen sollen? Und das bei Schneetreiben? Das muss das Gericht doch überzeugen, meinen Sie nicht?
    Der Richter ist nicht dumm. Hoffe ich wenigstens. Er wird bestimmt verstehen, dass wir bei unserem Spiel durch einen dummen Zufall in den Schlamassel geraten sind. Und wenn ich mich schuldig gemacht habe, dann ist das eine Sache, mit der ich anders fertig werden muss. Nicht in einem Jugendgefängnis.
    »Es wird schon nicht so schlimm werden«, haben Sie mir bei Ihrem letzten Besuch hier im Knast gesagt. Erinnern Sie sich? »Wenn wir ganz großes Glück haben, kommst du mit einem blauen Auge davon, Lina.« Sie sind ein toller Verteidiger, der beste, behauptet mein Vater. Der ist richtig stolz, dass er Sie engagiert hat. (Übrigens – von welchem Geld bezahlt er Sie eigentlich?) Ich werde mich gut auf die Verhandlung vorbereiten, besser als auf jede Prüfung in der Schule. Das verspreche ich Ihnen. Zeit hab ich ja genug.
    Aber Sie müssen mir glauben. Ohne das wird gar nichts gehen. Ich brauche das, Sie haben keine Ahnung, wie sehr. Bei unseren letzten Treffen hatte ich das Gefühl, dass Sie das nicht tun. Dass Sie Zweifel haben. Dabei stimmt die Geschichte mit dem unfreiwilligen Bankraub. Hundertprozentig! Vielleicht können Sie ja das Gericht überzeugen, dass es wirklich so gewesen ist. Gerade weil es unglaublich klingt. Niemand könnte sich so was ausdenken.
    Das war’s. Mehr hab ich im Augenblick nicht zu erzählen. Jetzt, wo die

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