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Noware (German Edition)

Noware (German Edition)

Titel: Noware (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Post
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ein Bus, der mal eine Straßensperre darstellte,
aufgegeben oder einfach überrollt. Galileo Peter fährt neben mir,
tief gebückt, die Zunge auf der Lenkstange, der Helm macht aus ihm
ein Geschoss Kaliber 25 Zentimeter, das sich nichts mehr wünscht,
als einen feindlichen Wamst zu durchbohren.
    Mein Bike hat kein Tacho, ich
muss raten. Schätze mein Tempo auf über 60. Wenn ich jetzt stürze,
muss ich nie wieder einen Berg hoch schieben. Verlockendes Angebot,
Gevatter Tod. Vielleicht ein andermal.
    Vorn kreischt Alder Opel.
Lauter als vorher. Dann sehe auch ich den Truck. Steht quer auf der
Fahrbahn. Unter der Brücke, Abfahrt Herbede. Das blaue
Ausfahrt-Schild rauscht vorbei, ich schwenke nach rechts. Alder Opel
versucht dasselbe, der Schrank auf seinem Gepäckträger schwankt.
War schön mit dir, Opel. Die coolsten Sprüche kamen von dir. Wie
war doch gleich dein echter Name? Stefan?
    Opel findet die Balance wieder.
Sein Bike tropft, ich tippe auf Urin.
    Die Ausfahrt steigt leicht an,
das Tempo verringert sich. Mein Körper reagiert, ich weine. Bleibe
stehen, schaue mich um, die anderen haben's geschafft. Nur Galileo
Peter fehlt.
    Wie sich herausstellt, hat er
sich Helm voraus in den Truck gebohrt. Er lebt noch, als wir ihn
rausziehen. Steigt einfach auf sein Bike. »Erleuchtung wärmt mein
gebrochen Herz«, krächzt er. »So lasst uns denn reisen der wahren
Weisheit entgegen.«
    »Wasn das für ne Schraube?«,
fragt Alder Opel.
    »Schraube?«, frage ich und
rolle neben Galileo, so dass ich sehen kann, was Opel meint.
    »In sein Kopp, ey.« Opel
kratzt seinen Bart, befeuchtet mit der Zunge die Lippen. »Habbich
noch nich gesehn sowatt.«
    Offenbar hat der Unfall eine
Schraube durch den Kopfschutz in Galileos Schädel gebohrt.
    »Ey nimm jetz' bloß nicht den
Helm ab«, sagt Opel.
    »Kann er nicht«, vermute ich
laut. »Der ist jetzt verschraubt.«
    »Ja dann«, meint Opel,
während Galileo seinen Kopf betastet. Ein dünner Faden Blut
erreicht seinen Kragen, dann den Finger. Nachdenklich begutachtet
Galileo die Flüssigkeit. »Blut von meinem Blut«, haucht er, »wo
vorher Schweiß und Wasser war. Ein Wunder!«
    »Kann's weitergehen«, ruft
Ronsdorf-Muslim von der anderen Straßenseite.
    »Leuchte mir den Pfad der
Erkenntnis«, breitet Galileo die Arme aus.
    »Allet klar jezz«, ruft Opel,
wirft zuerst Galileo, dann mir einen Blick zu. Kratzt im Bart,
schüttelt den Kopf. Tritt in die Pedale.
    Gegenüber geht's gleich wieder
runter auf die Bahn, von hier aus verläuft sie zig Kilometer
schnurgerade, bretteben. Richtung Ruhrstadt.
    Richtung Radio Wahrheit.

    *
    »Bewegungslos und ohne
Besinnung, Melancholie erfasst mein ohne Falschheit weinend Herz«,
deklamiert Galileo Peter. Er war mal Realschullehrer für Physik,
damals, in Köln. Jetzt wirkt er mehr wie ein Pastor auf
Gottesentzug. Muss an der Schraube liegen.
    »Werdender Kadaver.«
Ronsdorf-Muslim spuckt auf den Piraten, der vor ihm mit dem Asphalt
kuschelt.
    »Röchelt noch«, grunzt Alder
Opel und reicht Ronsdorf den Schraubenschlüssel. »Probier hiermit.«
    »Ichwarsnicht ichwarsnicht
ichwarsnicht«, heult der Pirat und versucht, sich aus der Reichweite
des Werkzeugs zu wälzen.
    »Ist das deine Fahne an meinem
Fahrrad oder nicht?« Ronsdorf benutzt das Werkzeug, Opel guckt zu.
Galileo Peter bekreuzigt sich. Vielleicht steckt die Schraube in
seinem Temporallappen.
    Ich lehne mich auf den Lenker
und verfolge die Schlachtung unbewegt. Vor ein paar Jahren, noch vor
dem Sendeschluss, hat mir auch mal jemand das Rad geklaut. Der Täter
kam davon, im Gegensatz zu diesem hier. Versetzte es vermutlich für
ein paar Euro, ich musste mir ein neues Gefährt anschaffen.
Eigentlich sollte es unauffälliger werden, nicht schwarz und cool,
sondern schmutzig und unscheinbar, vielleicht türkis metallic unter
dicken Schichten Dreck. Es wurde dann doch das silber-rote, das mich
nach Sendeschluss immer noch durch Deutschland trägt. Wie Jolly
Jumper, bloß ohne die zickigen Kommentare.
    Wer heute ein Bike klaut,
begeht ein Kapitalverbrechen, weil er jemandem die Lebensgrundlage
entzieht. Nur wer mobil ist, kann überleben; zu den Orten gelangen,
an denen es Nahrung und gelegentlich sogar Ruhe und Frieden gibt. Wer
zu langsam ist, ist tot. Wer sich auf sein Auto verlassen hat hängt
fest, seit es keinen Sprit mehr gibt, seit die Straßen voller
Trümmer liegen, denn man kann nicht einfach aussteigen, um sie zur
Seite zu schieben. Manchmal weil man keinen Kran dabei hat,

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