Noware (German Edition)

Er
versucht, mit Hilfe der Signalstärkeanzeige seines Radios
herauszufinden, wo sich der Sender befindet. Noch hat er ihn nicht
lokalisiert, und wir müssen ständig große Umwege fahren, damit
Galileo weitere Messwerte erhält. Glücklicherweise haben wir
ohnehin nichts besseres zu tun.
    »Im Pfandhaus sind wohl die
Stimmbänder des Herrn«, verkündet Galileo, »aber nicht jene der
Weisheit und Zahlenwunder.«
    »Weißt du jetzt, wo der
Sender steht, oder nicht?«
    »Wahrheit und ihr Sprecher
träumen nah von hier.« Galileo befühlt seine Schraube, die nach
wie vor seinen Helm am Schädel fixiert.
    Ich schüttle den Kopf und
mache es mir in meinem Schlafsack bequem. »Weck mich, wenn die
Sendung anfängt.«
    Im letzten Zwielicht geht jeder
seinem eigenen Abendritual nach. Ronsdorf kämmt seine Platte, Alder
Opel holt sich einen runter. Ich starre die Sterne über mir an.
Wenigstens sie sehen aus wie früher. Irgendwo schreien Katzen; der
Wind trägt strichweise Fäulnis herüber.
    Dann dreht Galileo das Radio
laut.
    »Abend, dunkles Land, hier ist
Radio Wahrheit auf Neunzig Komma Null, unabhängig und werbefrei, am
Mikrofon euer Nathan. Ich habe Nachrichten für euch da draußen, die
ihr mit Strom gesegnet seid, sagt es weiter allen anderen, erzählt
ihnen, dass hellere Zeiten kommen werden.«
    Wir alle horchen aufmerksam,
sogar Opel hört auf zu schnaufen.
    »Für einige Minuten konnte
ich mit meinem Hochleistungsgerät heute einen ganz besonderen Sender
empfangen: Radio Vatikan. Es hat den Anschein, als habe ein Herr
Antonioni mithilfe einer bewaffneten Truppe den Papst ermordert und
sich selbst zum Nachfolger ernannt. Das klingt auf den ersten Blick
etwas unzivilisiert, aber die Invasoren waren immerhin so schlau,
nicht alles niederzubrennen, sondern den Sender in Betrieb zu nehmen,
um sich der Welt mitzuteilen. Der Machtwechsel bedeutet anscheinend
einige Veränderungen. In einer Ansprache, aus der ihr gleich einen
Ausschnitt hören werdet, erklärt Herr Antonioni, dass man gerne
Kondome benutzen dürfe, und außerdem dürften Schwule von ihm aus
ruhig heiraten. Die Frage, woher man Kondome bekommen soll, wenn alle
Geschäfte geschlossen haben oder geplündert sind, beantwortete der
neue Papst allerdings nicht. Außerdem bleibt unklar, warum ihm
ausgerechnet diese Themen so wichtig sind, denn meiner Ansicht nach
hat die Welt derzeit andere Probleme als einen Mangel an
Schwulenhochzeiten.«
    Alder Opel grölt los und
kriegt sich gar nicht wieder ein. Ronsdorf-Muslim und Galileo fangen
einen Streit an. Es geht um Minderheiten und freie Ausübung von
Religion. Anscheinend sind beide gleicher Meinung, beschimpfen
Intoleranz und platte Reifen so laut, dass ich von der italienischen
Ansprache, die gerade gesendet wird, selbst dann nichts verstehen
würde, wenn ich die Sprache könnte.
    Nach einer halben Stunde geht
dem Radio allmählich der Saft aus, aber Nathan spielt sowieso nur
noch Celine Dion, und ich schlafe endlich ein.

    *
    »Und ich sage euch, da war
ein Licht! Es leuchtete in meinem Herzen, wärmte meine Seele und
mein Finger deutet auf es seit der Dämmerung des Morgens.«
    Galileo steht mitten im
Wendehammer und zeigt schräg nach oben. Zur Sicherheit hält er den
linken Arm mit dem rechten fest.
    Ronsdorf befühlt seine Glatze,
während er versucht, in der gezeigten Richtung etwas zu erkennen.
Opel schüttelt den Kopf, spuckt aus. »Sach was, Senior.«
    Ich lasse die Arme baumeln, die
ich bisher in die Hüften gestemmt hatte. »Peter zeigt auf Dunst.«
    Opel klebt sich mit Spucke eine
Haarsträhne hinters Ohr. »Gar nix is da.«
    »Das würde ich nicht
unterschreiben«, widerspreche ich. »Ich kenne die Gegend von
früher. Hinter dem Dunst liegt ungefähr die Ruhr-Universität. Wenn
da diese Nacht ein Licht war, bevor der Dunst ... ich meine ...«
Opel starrt mich bloß an. Ich hole tief Luft. »Es ist nicht weit.
Gut, es geht bergauf ... aber wir sind mühelos vor Einbruch des
Abends dort und dann sehen wir, ob da ein Licht ist.«
    »Senior«, raunt Opel gedehnt.
»Von mich aus fahrn wir hin.« Er kommt näher, stupst mir den
Ellenbogen in die Milz. »Anner Uni gibbet hübsche Perlen. Habbich
ma gehört. Reißen wir paar auf, wat?« Alder Opel ist von seiner
Idee so begeistert, dass er innerhalb von Sekunden seinen Schlafsack
zusammengerollt und in seinem Schrank verstaut hat.
    »Das mit Sodom und Gomorrha
war vielleicht etwas übertrieben«, verkündet Galileo. Er redet
wieder wie früher, bloß