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Noware (German Edition)

Noware (German Edition)

Titel: Noware (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Post
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manchmal
weil jemand drin wohnt.
    Ronsdorf-Muslim hat letzte
Woche den Fehler gemacht, sich von der Gilde zu entfernen, um in Ruhe
in den Wald zu kacken. Oder was immer er da gemacht hat. Vielleicht
hat er auch gebetet, obwohl er behauptet, sowas würde er nie tun.
»Die Leute haben viel zu viel gebetet«, behauptet er immer, »ihr
seht ja, was es gebracht hat.« Als er zurück kam, war sein Bike
verschwunden. Dafür hatte der Pirat sein eigenes, altes Gefährt
zurückgelassen, einen Schrotthaufen, der keinen Kilometer schaffte,
ohne aufgepumpt zu werden oder irgendwelche Muttern zu verlieren.
    Jetzt hängt Ronsdorf seine
Fahne – ein altes Oasis-T-Shirt - wieder an sein eigenes Bike. Der
Pirat liegt unter seinem alten Schrott begraben.
    Ronsdorf wischt Sattel, Lenker
und Werkzeug mit der Piratenflagge ab – ein Subways-Werbewimpel -,
dann wirft er sie ins ehemalige Gesicht des Diebs, wo sie sich sofort
rot verfärbt.
    »Wir können wieder«, brummt
Ronsdorf zufrieden und händigt Alder Opel den Schraubenschlüssel
aus.
    Opel nickt: »Ne Werkzeugtasche
iss halt immer wat nützlich. Hat ich schon früher zu de Freddy
sacht. Boah, der Freddy. Scheiß ey.«
    Freddy ist Opels bester Freund
gewesen, bis er einmal was falsches gegessen hat. Eine Dose Bohnen,
die einer anderen Gilde gehörte.
    »Ohne Frage der Äther in
Kürze zu uns sprechen wird«, salbadert Galileo Peter und streichelt
seinen Helm. »Erneut und weise in altruistischer Üblichkeit.«
    Die Sache ist die: Galileo
Peter ist im Besitz eines heutzutage fast einmaligen Spielzeugs: Ein
solarbetriebenes UKW-Radio. Es hat den herausragenden Vorzug, dass es
funktioniert. Batteriebetriebene Geräte sind nur noch Ballast, bloß
Nostalgiker haben sie nicht längst weggeworfen. Plünderer haben in
den verlassenen Läden Batterievorräte noch vor den Regalen mit
Dosenbohnen und Schokolade geleert. Strom ist in einer Gesellschaft,
die für eine Bollywood-DVD mehr zu zahlen bereit ist als für ein
Mittagessen, begehrter als Gold. Jene Gesellschaft existiert nicht
mehr, aber damit hat wohl kein Plünderer gerechnet.
    Galileo hat das Solarradio
früher immer für eine lustige Spielerei gehalten, heute ist es das
einzige Kommunikationsmittel, dessen Reichweite die eines
verzweifelten Todesschreis übertrifft.
    Der einzige Sender, den Galileo
gefunden hat, nennt sich Radio Wahrheit, er sendet auf genau 90,0
Mhz. Der Kanal bringt den ganze Tag über nur Musik aus der Konserve,
bloß abends setzt sich ein Kerl ans Mikro, der sich Nathan nennt und
die Wahrheit verkündet.
    Die Wahrheit ist laut Nathan,
dass eine internationale Verschwörung das
Telekommunikationszeitalter beendet hat, um auf den Trümmern eine
feudalistische Ständegesellschaft zu errichten.
    Nathan sendet zum Beweis
allabendlich O-Töne, die er angeblich auf anderen Sendern
mitgeschnitten hat, die nur er empfangen kann. Gestern kam eine
Ansprache von einem gewissen Markgraf Samuel vom Niederrhein, der
neuerdings in Kleve residiert und dort für Recht und Ordnung sorgt
und die Verbrennung von allen Büchern (ausgenommen Bibeln)
organisiert.
    Kleve ist weit weg, deshalb
kann ich nicht selbst herausfinden, ob Nathans Bericht der Wahrheit
entspricht. Mir ist außerdem niemand aus der Gegend begegnet, und
selbst wenn das geschehen würde, könnte ich ihm nicht vertrauen –
vermutlich hätte er es ohnehin nur auf mein Bike abgesehen.
    Nathan hat das
Informationsmonopol. Uns bleibt nichts anderes übrig, als ihm jeden
Abend zuzuhören und davon zu träumen, dass es wirklich so etwas wie
eine neue Ordnung in Europa gibt.

    *
    Alder Opel kennt die
Gegend. Er hat früher in Bochum Autos gebaut. Sein Boss überlegte
gerade, ob er ihn in Frührente schicken sollte, als der Sendeschluss
kam. Danach hatte sich die Sache mit Opel erledigt.
    Wir lagern im Hof eines
ehemaligen Vermessungsbüros. Er liegt geschützt in einer Sackgasse,
außer uns ist kein Mensch zu sehen, bloß Köter heulen in der
Nachbarschaft.
    Galileo steht etwas abseits und
malt mit einem weichen Stein Diagramme auf den Asphalt. Allmählich
muss er fertig werden, denn das Licht schwindet; die Ruhrstadt wird
bald unter dem Mantel der Nacht schlummern, vielleicht von
verstopften U-Bahnen und Straßen alpträumen. Die Nacht nach
Sendeschluss ist photonenfrei. Nur besonders gastfreundliche Menschen
machen Licht an. »Hier gibt’s was zu holen«, lautet deren
Mitteilung.
    Mit einem langen Seufzer
richtet sich Galileo Peter auf und betrachtet seine Zeichnung.

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