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Noware (German Edition)

Noware (German Edition)

Titel: Noware (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Post
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kennen deinen Namen nicht. Wir sind
nur eine Gilde Bikepunks, die zufällig vorbei gekommen ist. Ich
hoffe, wir geben dir ein bisschen von der Würde zurück, die
irgendein krankes Arschloch dir genommen hat. Du kriegst eine
Grabbeigabe, wie es sich gehört.« Ich gehe in die Knie und schiebe
meinen geflickten Ersatz-Schlauch unter das Laub. Dann stehe ich
wieder auf. »Ist ein heidnischer Brauch, ich weiß ...« Ich
schiele zu Galileo, aber der sieht starr geradeaus. »... aber
für unsere Urahnen ging das in Ordnung, warum nicht auch für uns.
Hauptsache ein Ritual. Hilft uns, nicht zu vergessen. Nicht vergessen
ist ganz wichtig, glaube ich.«
    Galileo flüstert irgendwas,
Ronsdorf hört zu summen auf. »Gehn wir«, sage ich und drehe mich
um.

    *
    Es dämmert, als wir bei
Opel eintreffen, der neben der offenen Tür wartet. Als ich ihm seine
Jacke zurückgebe, murmelt er: »Wurd auch langsam Zeit. Voll zugich
hier ey.«
    »Saubere Arbeit«, sage ich.
»Holen wir die Bikes.«
    Dann klappern unsere Zweiräder
die Treppe runter, kratzen um die Kurve, hinein in den Tunnel. Hier
unten brennt Notbeleuchtung: blaue Leuchtdioden neben lange
erloschenen Energiesparlampen. Es zieht, obwohl wir die Tür hinter
uns schließen. Hohle Rohre hängen unter der Decke, zweigen irgendwo
ab, gemeinsam mit Kabelbündeln und Spinnnetzen.
    Wir schieben unsere Räder,
weil es zum Fahren zu eng und düster ist. Ich führe die Gilde,
entziffere Wegweiser und Schilder. Opel flucht ohne Unterbrechung,
weil sich sein Schrank Kratzer um Kratzer zuzieht. Es riecht nach
Staub, irgendwo plätschert Wasser, unsichtbar. Schatten huschen
umher, vielleicht Ratten, vielleicht etwas größeres. Horror-Fans
hätten ihre wahre Freude hier, könnten über aus dem Genlabor
entlaufene Versuchstiere fantasieren. Wir wollen irgendwann einfach
nur noch raus. Raus aus den Eingeweiden des Ungeheuers, das wir den
spontanen Klausuren vorgezogen haben, weil wir überleben werden,
wenn es uns irgendwo ausspeiht.
    Ist es mein Instinkt, der mich
leitet, wenn ich an einer Abzweigung rechts abbiege, an der nächsten
links? Stufen führen aufwärts, wir drehen uns im Kreis, ein Kompass
wäre jetzt viel wert, aber wir haben keinen.
    Ein spitzer Schrei, ich zucke
zusammen, fahre herum. Galileo ist mit dem Helm an eine Ecke
gestoßen, kippt einfach um, heult, zuckt, kotzt und macht sich die
Hose voll.
    »Scheiße«, sagt Opel und
streichelt Peters Helm. »Sag doch was!«
    »Oh Gott«, haucht Ronsdorf
ohne Unterbrechung. »Oh Gott Gott Gott.«
    Galileos Kopf liegt in einer
Pfütze aus Blut. Er lächelt entrückt, sieht zur Decke, röchelt,
stinkt. Der Tod riecht nie gut.
    Als es vorbei ist, nehme ich
Peters Radio an mich.
    »Wir können ihn nicht hier
liegen lassen«, murmelt Ronsdorf.
    »Ein tieferes Grab als das
hier gibt’s nicht«, entgegne ich.
    »Und die Ratten?«
    »Gibt's draußen auch.«
    »Ich hasse die Scheißviecher.«
    Schließlich legen wir Galileos
Leichnam in eine Nische. Ich muss an Grabhöhlen denken, halte schon
wieder eine kurze Rede. Wir lehnen Peters Fahrrad vor die Nische, in
der er ruht. Legen ihm seine Fahne auf die Brust. »Im Namen der
Gilde«, bringe ich hervor. »Ruhe in Frieden, und fahr nächstes Mal
langsamer.«

    *
    Die Koalition aus Zufall
und Instinkt leitet uns in den Keller des Gebäudes NA. Hier
studierten einst Mathematiker, Geologen und – unter dem Dach, dem
Himmel am nächsten – Astronomen.
    »Ich kann mich irren, aber ich
glaube, wir müssen nach oben.«
    »Klar«, sagt Ronsdorf und
sieht das Treppenhaus hinauf. »Da oben ist Licht.«
    Ich folge seinem Blick.
»Vielleicht der Sender.«
    »Reinhaun«, drängt Opel.
Seit Peters Tod ist er still geworden, dies sind meiner Erinnerung
nach seine ersten Worte.
    Langsam, immer wieder
pausierend, klettern wir mit unseren Bikes die Treppen hoch. Die
Stockwerke sind markiert, folgen einer seltsamen Zählung: 04, 03,
02, 01... dann 1, 2, 3... bis 7, darüber ist das Dach.
    Das Licht kommt aus dem 7.
Stock, man muss es draußen weithin sehen können, so wie Peter
letzte Nacht.
    Zuerst rieche ich Rauch, dann
höre ich Nathans Stimme. Nicht aus dem Radio, das ausgeschaltet ist,
sondern aus dem Büro vor mir. Die Tür steht offen, der Moderator
sitzt vor Bildschirm und Mikrofon. Er sagt etwas auf italienisch,
dann klickt er mit der Maus. Ein Lautsprecher gibt das Gesprochene
wieder, leicht verzerrt. In einem stillen Moment raschelt Opels
Jacke, und Nathan fährt herum. Starrt uns an, mit

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