Nox Eterna - Die ewige Nacht der Anne Oxter
– nur geweint.“
Anne war schockiert - nein, das konnte keine Zufälligkeit mehr sein. Dass alles, was sie im Traum tat und dachte, in ihren Tag hinein wirkte, direkte Folgen für die Menschen hatte, mit denen sie lebte, das wollte sie nicht glauben, und doch schien es wahr zu sein. So etwas gab es doch gar nicht …
Wurde sie langsam verrückt? Oder war sie es schon? Am meisten berührte und verunsicherte sie, dass bei allem Bedauern ein kleiner Teil ihrer Person triumphierte – sie hatte Mühe, diesen Teil in Schach zu halten, denn wie ein Mühlrad ging ihr ein Gedanke im Kopf herum, wurde lauter und immer lauter, ließ sie schwindeln, stöhnen …
„Das geschieht ihr recht! Sie hat es verdient!“
„Ich werde nach ihr sehen“, sagte die wache, reale Anne und ging hinüber ins Schlafzimmer ihrer Eltern.
„Entschuldigung, Mama, wegen gestern … ich war nicht ich selbst …“ sagte sie leise. „Ich wollte das nicht … nicht so…“
II
November 2009
Anne war erschrocken über die Ereignisse dieser Oktobernacht und verdrängte ihre Traumbilder, verbannte das Reich von Nethernox aus ihren Vorstellungen. Es gelang ihr tatsächlich, eine nächtliche Verwandlung im Traum zu verhindern, die gute Anne siegte über das verdorbene Trugbild. Stattdessen träumte sie Triviales, Widerspiegelungen des tatsächlichen Geschehens oder sie vergaß ihre Träume ganz.
Sie war froh darüber. Der Streit mit der Mutter war, so glaubte sie, eine reinigende Krise gewesen, sie verstanden sich für eine Weile recht gut, beide nahmen Rücksicht. Anne wusste zwar aus dem Physikunterricht, dass das gesamte Universum in einer gigantischen Unordnung namens Entropie enden würde, versuchte aber, das Chaos in ihrem Zimmer vorerst in Grenzen zu halten. An einem der folgenden Wochenenden räumte sie sogar gründlich auf, warf mehr weg als nur den Abfall, trennte sich von überflüssigen Teilen ihrer Kindheit, reduzierte nach einigen Seelenqualen und echtem Trennungsschmerz die Armee ihrer Stofftiere entscheidend. Nur die wichtigsten Kuschelgefährten blieben zurück. Ihre Mutter sah es mit Wohlwollen.
Selbst Pucks Diebstähle in der Küche – Annes Mutter erwischte ihn mal mit einem Hühnerbein, dann wieder mit dem restlichen Bacon vom Frühstück, brachten Mirjam Oxter nicht aus dem Konzept. Sie sah großzügig darüber hinweg. Es ließ sich leben bei den Oxters. Nox Eterna blieb für lange Zeit verschwunden – ein fiktives Wesen in einem unbedeutenden Traum.
5. Dezember 2009
Anne war jetzt fast sechzehn Jahre alt – so sah sie es jedenfalls. Wenn man es genau nahm, 15 Jahre und fast fünf Monate. Sie verbrachte viel Zeit mit ihrem Äußeren, konnte sehr lange ihr Gesicht im Spiegel betrachten, machte sich Gedanken über ihre Kleidung, schneiderte sich selbst Blusen, die aber oft vor den kritischen Augen von Silly keine Gnade fanden.
„Das sieht man ja fast den Bauchnabel!“ kommentierte Silly Annes neueste Kreation mit Kopfschütteln. „Mit dem Ausschnitt lässt dich deine Mutter nie in die Schule!“
„Sieht sie ja nicht, denn ich trage … tata! … diesen wunderbaren Schal darüber!“
Ja, sie fühlten sich beide ausgesprochen hübsch und probierten Outfit um Outfit – meist mit demselben Ergebnis: Sie lachten sich fast tot. Die eine , unverwechselbare Anne Oxter zu kreieren gelang ihnen ebenso wenig wie das perfekte Outfit für eine fast erwachsene Cecilia Paxton – Silly blieb Silly.
Große Probleme machten Anne ihre Haare. Sie waren nicht blond und sie war nicht braun, irgendetwas dazwischen, und Anne fand, dass sie immer schmutzig aussahen. Sie wusch und fönte sie viel zu oft und überlegte, welche Farbe ihr Schopf noch haben könnte. Sie hatte es mit Henna versucht, war aber mit dem Ergebnis nicht zufrieden und suchte mit der von Natur aus rothaarigen Silly gemeinsam nach einem Ton, der zu ihr passen würde. Sie wählten ein ziemlich kräftiges Rot.
„Die werden fast so schön wie deine!“ Anne beneidete Silly um ihre Haarfarbe.
Sie färbten Annes Kopf und das halbe Badezimmer, aber etwas lief völlig schief. Annes Haarpracht strahlte roter als Sillys Schopf, leuchtete unnatürlich grell wie ein Brandherd in der Nacht. Sie war geschockt – so konnte sie nirgends auftauchen.
„Die Feuerwehr ist blass rosa dagegen!“ Silly lachte sich tot, machte dann aber Vorschläge, was zu tun sei.
„Braun drüberfärben?“ Sie
Weitere Kostenlose Bücher