Nr. 13: Thriller (German Edition)
Augen. Ihre Füße waren nackt. Aber er schaute nur kurz hin und ließ seinen Blick dann über die verkohlten Überreste gleiten. Sein Magen rebellierte im ersten schockierenden Moment, beruhigte sich jedoch danach. „Bei dem Wetter?“
„Wir haben Winter!“, hörte er Leander hinter sich atemlos ausstoßen. „Wer geht bei den Temperaturen ohne Schuhe aus dem Haus?“
Verwundert sah Daniel ihn über die Schulter hinweg an. Beide Arme waren um seinen Bauch geschlungen. Statt die Leichname zu betrachten, schaute er in der Gegend herum. Sein Gesicht hatte jegliche Farbe verloren. Grinsend schüttelte Daniel den Kopf. „Du solltest dir ein eigenes Bild machen, zum Beispiel falls es zu einer Anklage von Stefan Haas kommt und wir bezeugen müssen, dass seine Ehefrau barfuß war.“
„Als ob das wichtig wäre.“ Leander schnaubte. Offenbar wurde er unsicher, denn er trat einen Schritt näher. „Bei der Sektion müssen wir aber nicht dabei sein, oder?“
Daniel lachte.
„Das mit dem Schuh könnte durchaus wichtig sein“, sagte Dr. Sachs in diesem versnobten, anmaßenden Tonfall, der Daniel zunehmend gegen den Strich ging. „Wurden Frau Haas am linken Fuß alle Zehen amputiert?“
Lioba Zur hielt den Schal über die Nase, dabei schwächten Frost und Tigerbalsam den Leichengeruch ab, und guckte in den Sarg. Gedämpft durch den Baumwollstoff, stieß sie ein „Wie bitte?“ aus.
„Sie werden ja wohl wissen, ob die Dame irgendwelche Besonderheiten aufwies?“ Tadelnd schnalzte Dr. Sachs mit der Zunge. „Sie haben sich doch wohl auf die Exhumierung vorbereitet, oder etwa nicht?“
„Es musste schnell gehen.“
„Vergleichsproben?“
„Werden wir besorgen, während Sie obduzieren.“
„Sie hätten besser auf den richterlichen Beschluss gewartet, statt eigenmächtig vorzupreschen, Frau Staatsanwältin. In diesem Fall wäre genug Zeit gewesen.“
„Hören Sie mir gut zu, Dr. Sachs. Ich sage das nur ein einziges Mal. Ich habe meine Kompetenzen keineswegs überschritten, sondern handele nach dem Gesetz und nach bestem Wissen und Gewissen.“ Zur musste zwar zu ihm hochschauen, begegnete ihm aber trotzdem auf Augenhöhe, ein Umstand, der Daniel imponierte, weil er, was ihn betraf, ein Problem mit dem Höhenunterschied hatte. „Es ist Gefahr im Verzug. Ein Junge könnte noch am Leben sein und verwirrt durch Köln irren. Wie lange, meinen Sie, wird er bei dieser Kälte durchhalten?“
Mit einem herablassenden Lächeln zeigte er auf den Kindersarg. „Nun ja, seine Leiche ist da, nicht wahr?“
„Falls es denn die von Noel Haas ist. Das sollten eigentlich Sie feststellen. Wenn Sie allerdings derart befangen mir und dieser Exhumierung gegenüber sind, werde ich Sie dieser Aufgabe entheben und sie einem Ihrer Kollegen übergeben.“
„Ich bin aber gut in meinem Beruf!“
„Es gibt zahlreiche fähige Rechtsmediziner, die Ihnen problemlos das Wasser reichen können und ihren Job auch noch gerne ausüben.“ Kühl fügte sie hinzu: „Sie sind ersetzbar.“
Dr. Sachs wandte ihr den Rücken zu. Er klang verschnupft, aber demütiger: „Bringen wir es hinter uns.“
Schmunzelnd rieb Daniel seine Handflächen aneinander. Trotz Handschuhen wurden seine Finger immer steifer vor Kälte. „Könnten die Schuhe im Feuer verbrannt sein?“
„Man würde Rückstände finden, aber da ist offensichtlich nichts.“ Der Gerichtsmediziner beugte sich wieder über die Kiste. Schneeflocken fielen auf seinen Rücken und schmolzen sofort, während die Flocken auf den Leichen liegen blieben.
„Und die Zehen, könnte die Explosion sie …?“ Leander schluckte den Rest der Frage hinunter.
„Der restliche Fuß ist intakt. Die Flammen haben das Fleisch von den Knochen gefressen. Noch ein Indiz dafür, dass der Fuß ungeschützt war.“ Dr. Sachs hustete und wandte sich rasch zur Seite, um den Leichnam nicht zu kontaminieren. „Auf den ersten Blick sieht es so aus, als wären die Zehen chirurgisch amputiert worden.“
„Dadurch dürfte es leicht werden, herauszufinden, ob das vor uns Verena Haas ist.“ Endlich eine gute Nachricht für Daniel.
Plötzlich räusperte sich einer der beiden Träger von dem Bestattungsunternehmen, die die exhumierten Körper zum Institut für Rechtsmedizin überführen würden. „Haben nicht von Maike Lange gehört? Lesen keine Zeitung?“
Verdutzt sahen alle den kräftigen Mann an, der zwar ein junges Gesicht, aber graue Haare hatte wie ein Greis. Seinem Akzent nach, so tippte Daniel,
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