Nr. 13: Thriller (German Edition)
gaben ihm das Gefühl, Sie, Herr Haas, seien hinterhältig, alle würden das erkennen, und sie ermunterten ihn, zuzugeben, dass Sie ihm etwas angetan hätten. Man würde ihn beschützen – vor Ihnen. Manche gingen dabei subtil vor, zum Beispiel der Polizeipsychologe, wie ich zwischenzeitlich den Videoaufzeichnungen entnommen habe, aber, so klein Noel auch war, er nahm die Tendenz wahr. Ihre Frau dagegen sprach es ihm gegenüber freiweg aus, wie er berichtete. Und eine Mutter sagt in den Augen ihres Kindes doch immer die Wahrheit.“
Verächtlich schnaubte Haas, aber kein böses Wort kam über seine Lippen.
„Jedenfalls redeten alle so lange auf Noel ein, bis er total durcheinander war. Er traute sich kaum noch, den Mund aufzumachen. Schließlich sagte er genau das aus, was seine Mutter und der Psychologe, der die Vernehmung durchführte, hören wollten. Damit sie endlich aufhörten, auf ihn einzureden. Und weil er ihnen gefallen wollte. So sind Kinder. Sie wollen nur geliebt werden.“
Daniel schloss nicht aus, dass die Ermittler damals Noels Andeutungen und Zeichen so deuteten, wie sie es wollten. Anscheinend stand ihre Meinung über den Vater längst fest. Sie wollten nur eine Bestätigung von seinem Sohn hören. Eine Schlappe der Justiz. „Es tut mir unendlich leid.“
Überrascht über Daniels Emotionalität sah Zur ihn an, während Haas leise bittere Tränen weinte.
„Inzwischen ist er älter. Er erinnert sich daran, was wirklich vorgefallen war. Nämlich nichts. Meistens ist ein gemeinsames Bad eben nur ein Bad. Außerdem …“ Daniel blieben die Worte im Halse stecken. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Er bekam einfach nicht heraus, was er hatte sagen wollen. Sein Magen krampfte sich zu Rosinengröße zusammen.
Die Staatsanwältin kam ihm zu Hilfe. Sie stellte sich neben ihn und legte ihm die Hand auf den Unterarm, um ihm mitzuteilen, dass sie übernehmen würde. Möglicherweise nutzte sie die Situation auch aus, um ihn anzufassen. „Inzwischen weiß Noel – entschuldigen Sie, aber ich muss das Thema offen ansprechen –, was sexueller Missbrauch bedeutet, und hat nach der Befreiung aus der Gefangenschaft in der Bruchstraße 13 ausgesagt, hundertprozentig sicher zu sein, dass Sie sich ihm niemals unsittlich genähert haben.“
Stefan Haas wandte sich wimmernd ab und verbarg sein Gesicht in den Händen. Heulkrämpfe schüttelten ihn.
Das Schlimme war, wurde Daniel bewusst, dass seinem Sohn der Missbrauch im Lupanar nur zustoßen konnte, weil sein Vater zu Unrecht verurteilt worden war. Mit diesem Fehlurteil hatte eine Kette von Ereignissen ihren Anfang genommen, die dazu geführt hatte, dass Noel genau das widerfahren war, was man Stefan Haas irrtümlicherweise vorgeworfen hatte. Wäre er nicht fälschlicherweise als Kinderschänder verurteilt worden, wäre er nicht in die Nummer 13 eingezogen und Noel nicht in die Fänge von Engel und Beck geraten.
Vater und Sohn waren nicht nur Opfer der beiden Pädophilen geworden, sondern auch der Justiz. Nun lagen sie im selben Hospital. Hier wurden Noels Wunden versorgt, er wurde psychologisch betreut und konnte seinen Paps, wie er ihn nannte, besuchen.
Es dauerte eine Weile, bis Haas sich so weit erholt hatte, dass er wieder sprechen konnte. Seine Stimme überschlug sich ab und zu und klang belegt. „Ich bin an allem schuld.“
„Absolut nicht!“ Daniel fuhr näher an ihn heran. Zurs Hand rutschte von seinem Arm. „So dürfen Sie nicht denken.“
„Ich hätte nicht bei den Pädophilen einziehen sollen. Aber ich wusste einfach nicht, wohin, und Roman Schäfer war so nett und enthusiastisch. Mehr als das, er war ein Idealist. Ich wollte doch nur einen Ort, an dem ich mich wieder sicher fühlen konnte. Und vielleicht auch etwas Gutes tun, indem ich Roman half, das Thema Resozialisierung neu anzugehen. Doch eines Tages entdeckte ich den Keller unter dem Keller.“
„Das Lupanar.“
„So nannten sie die Gruft, ja.“
„Ein Teil der römischen Kanalisation“, korrigierte Daniel ihn.
„Ein Grab, Kommissar Zucker, das war es. Die Kinder dort unten hätten diesen schrecklichen Ort nie wieder lebend verlassen.“ Erneut rannen Tränen über Haas’ Wangen.
Daniel ahnte, dass er gerade an Noel dachte. Ihm fiel Verena Haas ein. Der Gerichtsmediziner hatte inzwischen Daniels Vermutung bestätigt, dass es sich bei den Knochen und den Geweberesten in dem Säurefass um die Überreste von Noels Mutter handelte. Dem Jungen hatte man ihren Tod noch nicht
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