Nr. 13: Thriller (German Edition)
Kollegen bereits den Körper vorsichtig und sorgsam bergen und abtransportieren, ohne Spuren zu zerstören. Sie würden ihn in den gekachelten und nach Desinfektionsmittel stinkenden Sektionssaal bringen, auf einen Edelstahltisch legen, aufschneiden und seine Organe entnehmen, wie ein Angler einen Fisch zum Entgräten.
Das ist nicht richtig, dachte Daniel bitter. Der Junge oder das Mädchen gehört in die Arme seiner Mutter und seines Vaters.
Sein Geduldsfaden riss. „Sieh dir endlich die Leiche an!“
Ruckartig richtete Leander die Actioncam auf das Tauchbecken. Daniel hörte seine Atemzüge durch das Handy.
Der Sand war weit abgesunken, das Wasser fast vollkommen klar. Die Hämatome wirkten auf dem kleinen blassen Körper auffällig groß, als hätten Pranken ihn herumgestoßen. Obwohl das Gesicht des Kindes nach unten zeigte, fiel der längliche Schnitt an der Kehle auf. Aber ob er die Todesursache war, blieb abzuwarten. Die dünnen Arme lagen an den Seiten und die Beine waren angewinkelt. Beides war mit einem Seil fixiert, das einige Male um die Leiche geschlungen war.
„Das Kind hat sich nicht gewehrt, sonst hätte der Täter es nicht so akkurat verschnüren können.“ Daniels Stimme war nur ein Flüstern. Sein Brustkorb wurde eng, denn er stellte sich vor, dass die letzte Person, die über die kurzen schwarzen Haare des Kindes gestreichelt hatte, sein Mörder gewesen sein könnte. „Es muss zu diesem Zeitpunkt schon tot gewesen sein.“
Leander schwieg.
Immerhin war es nicht qualvoll ertränkt worden, diese Gewissheit baute Daniel nicht sonderlich auf.
„Wie die Nadel im Heuhaufen!“, fluchte eine Stimme aus dem Off, die durch den Mundschutz gedämpft klang. „Zu viele Spuren verdecken oft die relevanten Hinweise.“
Daniel wusste nicht, ob der Kollege vom Erkennungsdienst mit Leander redete oder Selbstgespräche führte. Der Hospitant reagierte jedenfalls nicht. Stumm starrte er auf das Tauchbecken. Die Kamera bewegte sich keinen Millimeter, als stände sie auf einem Stativ.
„Oh mein Gott!“, stieß Leander schließlich hervor. Er schritt die restlichen Stufen schnell hinab und hockte sich an den Beckenrand, sodass Daniel schon befürchtete, er würde die Leiche aus dem Wasser heben und an seinen Oberkörper drücken. „Der arme Junge.“
Plötzlich fiel Daniel etwas ins Auge. Er hob das Tablet näher an sein Gesicht heran. „Das ist kein Junge.“
„Was redest du da?“
„Kinder haben keine Schambehaarung.“ Er hatte das Gefühl, das Opfer zu entwürdigen. Aber da der Leichnam auf der linken Seite lag, leicht nach vorne gekippt, konnte er direkt zwischen die Beine schauen. „Bei dem Opfer handelt es sich um eine Frau.“
5. KAPITEL
Marie konnte nicht aus ihrer Haut. Immer, wenn Daniel unterwegs war, machte sie sich Sorgen um ihn.
Dabei ging es ihr nicht allein darum, dass er von einem Auto angefahren werden könnte, weil ein Fahrer ihn in seinem Rollstuhl übersah. Sondern sie befürchtete noch mehr, er könnte emotional verletzt werden. Das hätte verheerende Folgen. Er würde sich wieder in sein Schneckenhaus zurückziehen. Seine Seele trug Narben, die noch so frisch waren, dass sie jederzeit wieder aufreißen konnten.
Sie streifte ihre Lammfellhausschuhe ab, legte ihre Beine auf die Couch und nippte an ihrem Glas spanischem Rotwein.
Woher diese Mütterlichkeit kam, konnte sie nicht sagen, denn ihre eigene Mutter war eine Katastrophe. Irene Bast hatte sie mit Härte erzogen, nicht mit Wärme. Glücklicherweise hatte das nicht dazu geführt, dass Marie selbst so unterkühlt geworden war. Das Gegenteil war eingetreten. Sie hatte so viel Liebe zu geben! Bedauerlicherweise war selten jemand da, dem sie sie schenken konnte.
Sie strich zärtlich über das Schwarz-Weiß-Foto des Jungen im Kölner Stadtanzeiger . Sein Namen stand darunter. Timmy Janke. Sein Pony hatte vorne ein Loch, als wäre der Versuch, sich selbst die Haare zu schneiden, schiefgegangen. Liebevoll drückte er ein Kaninchen an seinen Hals.
Timmy war tot. Vergewaltigt und erdrosselt von einem der Bewohner aus dem berüchtigten Haus mit der Nummer 13.
Als die Wohnungstür aufschwang, sah Marie auf. Von ihrem Platz im Wohnzimmer aus konnte sie in den Flur schauen. Die Räder des Rollis knirschten auf dem Laminat. Vermutlich klebte Streusalz und -sand an ihnen.
„Hola.“ Daniel warf seine Handschuhe auf Maries Bücher, die auf dem Schuhschrank standen, wie auch sonst überall im Apartment.
Grüßend hielt sie
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