Nr. 13: Thriller (German Edition)
Eklat gekommen. Irene und Rainer Bast hatten sich zwar bei ihm entschuldigt und Daniel hatte ihre Entschuldigung angenommen, doch beides war an Scheinheiligkeit kaum zu ertragen gewesen.
Das gemeinsame Weihnachtsfest war ein Krampf gewesen. Bisher bemühten sich alle drei nicht etwa darum, sich anzunähern, sondern sich aus dem Weg zu gehen. Sie rissen sich einigermaßen zusammen, weil sie einen gemeinsamen Nenner hatten: die Liebe zu Marie. Marie selbst fühlte sich dadurch zerrissen. Sosehr sie sich bemühte, es allen recht zu machen, es klappte nie.
Aus Verzweiflung hatte sie Daniel damals kurz nach dem Vorfall vorgeschlagen, für ihn mit ihren Eltern zu brechen. Zum Glück hatte er das nicht gewollt. Auch wenn Rainer und Irene nicht gerade vor Gefühl strotzten, Marie war aus ihnen gewachsen. Die Bindung zwischen Kind und Eltern kappte man nicht, ohne Schaden davonzutragen. Das wusste Daniel am besten, denn er hatte seinen Vater Gerald Zucker hinter Gitter gebracht und sich von ihm losgesagt. Laut seiner Mutter Christiane lag darin die Ursache für seinen Sarkasmus.
Die Zeitung rutschte von ihrem Schoß. Marie fing sie auf. Ihr Blick fiel wieder auf das Foto von Timmy. Mit seinem spitzbübischen Grinsen und den vermutlich mit Schokolade verschmutzten Mundwinkeln wirkte er so unschuldig und naiv. Wie mochten seine Eltern mit dem Verlust leben? War der Schmerz jetzt nach vierzehn Jahren ertragbarer oder schlimmer? Marie konnte den Kummer nur ansatzweise nachvollziehen, da sie selbst keine Kinder hatte.
Überraschenderweise spürte sie ein Bedauern, das ihr neu war. Es schwoll zu einem Brennen in ihrem Brustkorb und ihrem Becken an. Lag das vielleicht an der Endgültigkeit?
Sie löste sich so schnell von Daniel, als wären sie plötzlich zwei gleiche magnetische Pole, die sich abstießen. Etwas zu hastig trank sie aus ihrem Glas, sodass sie husten musste. Ihre Wangen glühten vom Alkohol und der Scham über die Distanz, die sie suchte.
„Als ob ein Haus die Probleme zwischen Natalia und Tomasz lösen würde“, nahm sie das Gespräch wieder auf. „Dadurch ist sie auch nicht weniger alleine.“
„Ein Nest hat nichts mit der Größe zu tun, sondern mit der Wärme darin.“ Er sah ihr tief in die Augen, während er die Hand an seinen Mund hob, seinen Ehering bis zum Knöchel hochschob und das Tattoo darunter küsste.
Noch immer konnte sie kaum glauben, dass er sich ihren Namen hatte tätowieren lassen. Nun fühlte sie sich noch schuldiger und umarmte ihn so fest, als würden sie auf stürmischer See treiben und sie befürchtete, von ihm fortgespült zu werden.
„Was ist ‚Das Böse in Nummer 13‘?“ Über ihre Schulter hinweg tippte er auf den Titel des Artikels, den sie aufgeschlagen hatte.
„Hast du noch nichts davon gehört?“ Erstaunt sah sie ihn an. Vermutlich war er zu sehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt gewesen. Zudem fielen Sexualdelikte und Kinderhandel in das Aufgabengebiet des Kriminalkommissariats 12. „Ganz Köln regt sich über die Bruchstraße 13 auf. Dort wohnen aus der Haft entlassene Päderasten in einer Art Hausgemeinschaft.“
Daniels Augen weiteten sich. Seine Pupillen wurden so groß, dass das Braun seiner Iriden kaum noch zu erkennen war. „Eine WG von Kinderschändern?“
„Nicht ganz. Jeder hat seine eigene Wohnung.“
„Oh, wie schön!“ Aufgebracht zupfte er an seinem Kinnbart. „Am besten bezahlt der Staat – also wir Steuerzahler – ihnen die Miete für ein komplettes Kranhaus.“
„Sie beziehen zwar Hartz IV, aber ansonsten finanzieren sie sich selbst“, warf Marie ein. Mit ihrem Blick folgte sie einem seiner schwarzen Barthaare, das er sich unbemerkt ausgerissen hatte und das auf seine Jeans fiel.
Doch Daniel sprach unbeeindruckt weiter: „Dann können Pädosexuelle aus ganz Deutschland nach Köln ziehen.“
„Red keinen Unsinn!“
„Die Domstadt als Mekka der Kindf…“
„Daniel!“, fiel sie ihm ins Wort und schaute ihn warnend an.
„Warum verteidigst du diesen Abschaum?“
„Tue ich gar nicht.“ Sie wusste selbst nicht, wie sie darüber denken sollte. Selbstverständlich verurteilte sie die Straftaten aufs Schärfste. Dennoch fand sie Schwarz-Weiß-Malerei falsch, denn niemand, auch nicht die Täter, waren ausschließlich böse. „Aber vor dem Gesetz haben sie ihre Schuld abgegolten, das müsste doch einem Polizisten wie dir klar sein.“
„Ihre Opfer werden nicht wieder lebendig.“ Er verschränkte die Arme vor dem
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