Nr. 13: Thriller (German Edition)
stellte ihr Glas so hart auf die Tischplatte, dass sie Angst hatte, den Stiel abgebrochen zu haben, doch er war intakt.
Behutsam rieb er über ihre Schulter. „Du bist doch sonst so einfühlsam.“
„Ich habe zu viel getrunken.“ Sie reagierte nicht auf seine Berührung.
Er nahm seine Hand weg. „Neben dem Verlust nagt auch noch die Schuld an ihnen, weil sie glauben, sie hätten nicht gut genug auf ihren Nachwuchs aufgepasst.“
„Von so etwas habe ich keine Ahnung.“ Es ging Marie längst nicht mehr um die Pädophilen. „Ich habe ja nicht einmal ein Haustier.“
„Das ist doch nicht dasselbe.“
Natürlich war es das nicht. Das Kind war schließlich aus den Eltern entstanden. Eine Mutter hatte zudem ihr Kind neun Monate unter ihrem Herzen getragen. Sie hatte die Windeln des Babys gewechselt, bei seinen ersten Worten feuchte Augen bekommen und applaudiert, als es seine ersten Schritte machte. Bockig zuckte sie mit den Achseln.
„Stell dir den Schmerz der Mutter und des Vaters vor. Sie werden ihren Jungen oder ihr Mädchen nie wiedersehen.“
Marie wischte sich Schweißperlen von der Stirn. Sie fühlte sich fiebrig, als wäre eine Grippe im Anmarsch. „Ich habe meine eigenen Probleme.“ Lallte sie etwa?
„Was ist, wenn der Junge …“
„Timmy Janke“, klärte Marie ihn auf. Er hatte den Artikel ja nicht einmal gelesen. Warum ließ Daniel es nicht bleiben? Diese Rechthaberei ging ihr gehörig gegen den Strich. Es gab Charakterzüge an ihm, die sie nicht ausstehen konnte.
„Wie würde es dir ergehen“, wiederholte Daniel, „wenn Timmy dein Junge wäre?“
Plötzlich sah Marie rot. Sie zischte: „Ich werde nie eigene Kinder haben!“
Daniel stutzte. Langsam veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Er ließ seine Schultern sinken. Offensichtlich verstand er, was in ihr vorging. „Nicht mit mir. Nein, das nicht.“ Seine Stimme hatte jegliche Kraft verloren. „Aber du wirst dieses Jahr erst dreißig.“
Auf was wollte er damit anspielen? Dass sie sich nach einem neuen Mann umgucken könnte? Ihr war diese Option bewusst. Er hatte sie bereits nach seinem Unfall darauf hingewiesen und ihre Eltern hatten ihr ebenfalls öfters den Ratschlag erteilt, ihr Leben noch einmal neu auszurichten. „Lass uns nicht darüber reden, denn da gibt es nichts zu reden. Die Dinge sind, wie sie sind. Worte ändern gar nichts. Ich bin betrunken und gehe jetzt ins Bett.“
Sie murmelte eine Entschuldigung und ließ offen, ob sich diese auf ihr aggressives Verhalten bezog oder auf die Tatsache, dass sie vor ihm floh und wusste, dass er nicht schnell genug folgen konnte. Bevor er sich auch nur von der Couch in seinen Rollstuhl schwingen konnte, schloss sie sich bereits im Bad ein, um sich zu übergeben.
6. KAPITEL
Als Daniel in die Bruchstraße einbog, konnte er kaum glauben, dass Fuchs ihn an diesem Vormittag ausgerechnet nach Ehrenfeld schickte, an den Ort, über den er mit Marie am Vorabend noch so heftig diskutiert hatte.
Noch immer steckte ihm das Ende des Gesprächs in den Knochen. Die halbe Nacht lang hatte er mit offenen Augen im Bett gelegen und die Zimmerdecke angestarrt. Dass Marie ebenfalls wach lag, hatte er an ihren ungleichmäßigen Atemzügen erkannt, obwohl sie ihm den Rücken zugewandt hatte.
Er hatte nicht einmal gegrübelt, sondern sein Kopf war vor Gram leer gewesen. Es gab nichts, worüber er nachdenken konnte. Offenbar wünschte sich Marie ein Kind. Aber das konnte er ihr nicht schenken, selbst wenn die Hölle zufror und Ostern und Weihnachten auf ein und denselben Tag fielen.
Nachdem feststand, dass er ab der Hüfte abwärts querschnittsgelähmt war und sich dieser Zustand niemals wieder bessern würde, hatte sie, die Sanftmütige, um ihn gekämpft wie eine Löwin. Sie hatte gesagt, sie wollte die Ehe mit ihm aufrechterhalten und ihr Leben mit ihm teilen. Dass sie niemals Kinder von ihm haben könnte, hielt sie nicht davon ab, bei ihm zu bleiben.
Er glaubte nicht, dass sie im Herbst vergangenen Jahres gelogen hatte, aber die Dinge änderten sich manchmal. Inzwischen war Ruhe eingekehrt, er arrangierte sich langsam mit seinem Feuerstuhl und ging den Alltag wieder an. Marie konnte sich wieder mehr auf sich selbst konzentrieren, zumal Benjamin, der bei ihnen wohnte, zurzeit im „Urlaub“ war, so nannten es alle, weil sie sich schämten, die Wahrheit auszusprechen. Dabei hatte sie wohl festgestellt, dass es ihr doch etwas ausmachte, nie Mutter zu sein. Er machte ihr keine Vorwürfe,
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