Nr. 13: Thriller (German Edition)
sondern verstand sie. Auch ihm bereitete es Kummer, nie „Papa“ aus einem Kindermund zu hören.
Leander, der schon zwei Hauseingänge weiter war, blieb stehen und wartete auf ihn. „Hast du nicht genug Spinat gefrühstückt, Popeye?“
„Werd mal nicht frech, sonst demonstriere ich dir, wie ich meinen Rolli als Rammbock gegen GeoGod eingesetzt habe.“
„Ich kann dich auch schieben, falls dem alten Mann die Kraft ausgeht.“
„Wag es ja nicht!“, warnte Daniel ihn und holte auf.
Sie befanden sich auf der Straßenseite mit den geraden Hausnummern. Als sie in Höhe der Nummer 13 ankamen, rollte Daniel aus und betrachtete es eingehend. Das Gebäude kannte er schon von dem Foto, das neben dem Artikel, den Marie gestern aufgeschlagen hatte, und dem Bild von Timmy abgedruckt worden war. Lag es an den tief hängenden Regenwolken oder sah das Gebäude real ebenso düster aus?
Eine der Fensterscheiben im Erdgeschoss war herausgebrochen. Man hatte das Loch notdürftig mit einem Karton zugeklebt. Graffiti auf den roten Backsteinen schimmerten durch die Farbe, mit der man versucht hatte, sie zu überdecken, vermutlich weil sie nicht abzuwaschen waren. Die gesprayten Proteste waren identisch mit denen auf den Pappschildern der zwei Männer und Frauen, die auf dem Bürgersteig auf und ab schritten und ihre Meinung lautstark kundtaten.
„Verpisst euch, ihr kranken Schweine!“
„Hier wohnen Kinderschänder!“
„Kinderficker haben keine Rechte!“
„Ihr seid Abschaum!“
„Wir wollen keine Perversen in der Bruchstraße!“
„Wir fordern ein sauberes Viertel!“
Efeuranken bedeckten große Teile der Front. Sie erinnerten Daniel an die Haare eines Teenagers, der sein wahres Gesicht hinter einem langen Pony verbarg, sodass man nicht sehen konnte, ob er sich gerade ins Fäustchen lachte oder die Zähne fletschte.
„Hast du schon von dem Haus der Pädosexuellen gehört?“ Mit einem Kopfnicken deutete Daniel auf das einzige Backsteingebäude in der Nähe. Während die angrenzenden Fassaden längst renoviert und mit hellen Klinkern versehen worden waren, siechte die Nummer 13 dahin und stach heraus.
„Nicht unser Ressort.“ Leander winkte ab, drehte dem Haus mit der Unglücksnummer den Rücken zu und trat in das gegenüberliegende ein. „Wir haben genug eigene Fälle. Hier entlang, Meister Yoda.“
Überrascht über Leanders loses Mundwerk, schaute er ihm hinterher. „Yoda?“
„Du reichst mir bis zur Hüfte und bist clever. Ein Laserschwert besitzt du zwar nicht, wohl aber Rollstuhltaschen voll beeindruckender Ausrüstung. Außerdem kämpfst du gegen das Böse da draußen und den Verräter im Rat der Jedi-Ritter.“ Amüsiert hielt Leander, der damit auf Daniels Disput mit dem Kriminaldirektor anspielte, ihm die Tür auf.
„Deine gute Laune ist ja toll, aber sie wird dich früher oder später in Schwierigkeiten bringen.“ Daniel knurrte, aber eigentlich war er froh, dass sein Kollege ihn von den düsteren Gedanken um Marie ablenkte. Wahrscheinlich hatte Leander sich all die Vergleiche ausgedacht, weil er ihn manchmal mit dem weiblichen Kosenamen foppte. „Eher früher.“
Geschickt überwand Daniel die einzelne Stufe am Eingang, indem er seinen Schwerpunkt verlagerte und die Balance hielt, etwas, das er dank seines Trainers inzwischen gelernt hatte. Eigentlich brachte er ihm Kampftechniken für Rollstuhlfahrer bei. Er zeigte ihm sowohl Martial-Arts-Griffe als auch, wie er seinen Bock als Waffe einsetzen konnte. Daniel stand noch ganz am Anfang, aber es machte ihm Spaß, im Rahmen seiner Möglichkeiten endlich wieder körperlich aktiv zu sein.
Als die Tür hinter ihm zufiel, hörte Daniel die Protestierenden nur noch gedämpft. Die permanente Lärmbelästigung musste die ehemaligen Gefängnisinsassen schier verrückt machen, zumal sie sofort verbal attackiert werden würden, sobald sie heraustraten. Wenn sich ihre Familien nicht bereits durch die Verurteilung von ihnen abgewandt hatten, taten sie es spätestens jetzt, um nicht ebenfalls ins Visier der Pädophilen-Hasser zu geraten. Ihre Haftstrafe hatten sie zwar abgesessen, doch die Abstrafung ging weiter. Wahrscheinlich war dieses Los für die Verurteilten in der Gemeinschaft leichter zu ertragen. Und wo sollten sie auch hin? Nirgendwo waren sie gerne gesehen.
Während Daniel mit Leander im Aufzug in die vierte Etage fuhr, fragte er: „Gibt es schon Neuigkeiten über die Frauenleiche im jüdischen Ritualbad?“
„Keine Ahnung. Ich bin ja
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