Nr. 13: Thriller (German Edition)
Mal jemand gewohnt?“
„Bevor wir eingezogen sind. Die meisten meiner Mitbewohner haben Angst, dass die Nachbarn das Haus in Brand stecken, und bevorzugen eine Bleibe im Erdgeschoss oder im ersten Stock. Einige sind leider schon wieder ausgezogen, weil es Übergriffe gab.“ Einen Moment lang rieb Schäfer gedankenversunken über seinen Hals, als wäre er selbst auch schon körperlich attackiert worden. „Andere wollen gar nicht erst einziehen, sondern lieber anonym wohnen.“
Daniel nickte. Dieses Haus outete seine Bewohner. „Können wir das leer stehende Apartment besichtigen? Bitte.“
„Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?“ Mit einem Ruck zog Schäfer seinen Pullunder nach unten und strich dann mehrmals über den Baumwollstoff. Er schaute erwartungsvoll, wie ein Kartenabreißer vor einem Horrorkabinett.
Hinter seinem Rücken fuchtelte Leander herum, als hätte er sich die Hand verbrüht. Er wusste um die Brisanz dieser Frage und warf einen Blick zum Ausgang, als ginge er fest davon aus, in der nächsten Minute rausgeworfen zu werden.
„Wir sammeln erst einmal nur Informationen“, formulierte Daniel behutsam, denn sie hatten keine Handhabe, einen Einlass zu erzwingen, „und hoffen auf Ihre Kooperation.“
„Eigentlich sollte ich Sie wegschicken.“ Schäfer verzog sein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. „Ein Kommissar mit Vorurteilen sucht doch nur nach Hinweisen, um seine längst zurechtgelegte Theorie zu bestätigen.“
„Wenn keine Beweise da sind, kann ich auch keine sicherstellen. Aber wenn Sie befürchten, ich könnte doch etwas finden …“ Daniel brauchte den Satz nicht zu Ende bringen. Der Stachel saß bereits im Fleisch seines Gegenübers.
„Das ist ein mieser Trick. Aber erfolgreich.“ Die Tür des Aufzugs glitt auf und Schäfer deutete Daniel an, mit seinem Rolli zuerst in die Kabine zu fahren. „Wir haben unsere Haftstrafen abgesessen und uns seit der Entlassung aus der Vollzugsanstalt nichts mehr zuschulden kommen lassen. Wir haben dieselben Rechte wie alle. Stimmt doch, Hauptkommissar Zucker, oder?“
Da Daniel das Gesetz vertrat, konnte er nicht anders, als ihm beizupflichten. In manchen Situationen war es nicht einfach, seine eigene Meinung hintanzustellen. Marie behauptete, er neige dazu, in Schwarz und Weiß zu denken. Das sah er anders. Aber seiner Einschätzung nach glich jeder aus dem Knast entlassene Sexualstraftäter einer tickenden Zeitbombe. Eine krankhafte sexuelle Neigung war nicht heilbar.
Während sie schweigend hochfuhren, lenkte er sich von dem beunruhigenden Ächzen des altersschwachen Fahrstuhls ab, indem er sich Schäfers Vita in Erinnerung rief.
Roman Schäfer hatte neben Deutsch und Latein auch nordische Philologie am Institut für Skandinavistik und Fennistik an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln studiert. Einige Jahre verbrachte er als Lehrkraft an Schulen in Finnland und Schweden. Seine Karriere gipfelte darin, dass er zum Studiendirektor befördert wurde und das private Jungeninternat Schloss Wehrich bei Brühl leitete.
Bis herauskam, dass er einige Schüler zu sexuellen Handlungen verleitet hatte.
Laut Aussagen seiner Opfer hatte er niemals körperliche Gewalt angewandt, sondern sich als Tutor und väterlicher Freund ihr Vertrauen erschlichen. Schäfer manipulierte sie geschickt und nötigte sie allein durch verbale Drohungen. Er setzte Worte als Waffe ein. Aus Scham sagten damals nur vier Schüler gegen ihn aus, aber die Ermittler vermuteten, dass er weitaus mehr Minderjährige missbraucht hatte.
Während der Haftzeit gab sich Schäfer vorbildlich. Inzwischen galt er als erfolgreich therapiert. Aber konnte jemand mit seinen verbalen Qualitäten nicht auch Erwachsene in ihrem Urteilsvermögen beeinflussen? Daniel war auf der Hut.
„Haben Sie eine Ahnung, wie schwer es ist, als Ex-Häftling eine Bleibe zu finden?“, fragte Schäfer mit bebender Stimme. „Für jemanden, der wegen Pädosexualität verurteilt wurde, ist es nahezu unmöglich.“
„Sie haben sich selbst in diese Situation gebracht.“ Daniel konnte kein Mitleid empfinden.
„Haben Sie noch nie einen Fehler begangen?“
Daniel schwieg und dachte daran, wie er beinahe seinen Vater getötet hatte, als dieser wieder einmal seine Mutter verprügelte. Ihr gebrochener Unterkiefer war nie wieder richtig zusammengewachsen, weshalb sie bis heute Probleme mit dem Essen und Sprechen hatte. Zwar hatte er das Richtige getan, hatte die Polizei geholt,
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