Nr. 13: Thriller (German Edition)
ihrer Meinung nach gewährleisten, dass Gefühle keinen Einfluss auf unser Denken und Handeln nehmen und wir die Herrschaft über die Vernunft erlangen. Das allein führt zu Tugend und Glück.“
„Wollen Sie behaupten, Sie wären alle religiös geworden?“ Den Stuss hatte Daniel zur Genüge von Insassen gehört. In seinen Augen war das nur eine Flucht vor dem Gefängnisalltag.
„Philosophie“, korrigierte Schäfer ihn, „interessiert mich seit dem Studium. Ich sehe sie als Brücke, als Gehhilfe und als Wegweiser, um ein besserer Mensch zu werden. Ich weiß, ich habe große Schuld auf mich geladen, aber es muss eine Möglichkeit geben, mich reinzuwaschen. Wenn nicht, wollte ich nicht länger leben!“ Seine Worte hallten im Treppenhaus wider. „Um mich und meine Freunde täglich daran zu erinnern, habe ich das Zitat aus den Lehren der Stoa über den Ausgang gehängt.“
Daniel bekam ein schlechtes Gewissen, weil er die Bewohner der Nummer 13 vorverurteilt hatte. Schäfer schien unter den eigenen Taten zu leiden. Er versuchte nicht nur selbst, auf dem rechten Weg zu bleiben, sondern auch seine Mitbewohner zu motivieren, gegen ihre Pädosexualität anzugehen.
„Aber ja“, fügte Schäfer hinzu, „auch meine jüdische Religion hilft mir in diesen schweren Zeiten.“
Aus dem Augenwinkel sah Daniel, wie Leander sich anspannte. Es war das erste Mal, dass sich der Hospitant in die Diskussion einmischte. „Sie sind Jude?“
Roman Schäfer nickte und berührte seinen Hinterkopf, als würde er über eine unsichtbare Kippa streichen.
11. KAPITEL
Plötzlich fragte er sich, ob Roman Schäfer ihnen den reumütigen Straftäter nur vorspielte oder seine Qualen echt waren. Offenbar war er ein gebildeter, intelligenter Mann. Mochte er auch noch so väterlich erscheinen, so vergaß Daniel nicht, dass Schäfer genau diese Ausstrahlung dazu genutzt hatte, Jungen zu missbrauchen.
„Was wollen Sie eigentlich hier? Diesmal kann es sich nicht um eine der zahlreichen wie haltlosen Beschwerden der Nachbarn handeln.“ Schäfer gab einen zischenden Laut von sich. „Die machen uns mit ihren Anzeigen das Leben zur Hölle!“
„Warum ziehen Sie dann nicht weg?“
„Wo sollen wir denn hin? Wir sind nirgendwo gerne gesehen.“ Mit gefurchter Stirn breitete Schäfer die Arme aus. „Daher kam mir die Idee einer Zuflucht. Wir geben uns gegenseitig Kraft, um durchzuhalten, bis die Bevölkerung erkennt, dass das Pilotprojekt funktioniert.“
„Nicht ganz“, brummte Daniel.
Breitbeinig stellte sich Schäfer vor ihn hin. „Was wollen Sie damit sagen?“
„Jemand will einen Mord in diesem Haus beobachtet haben.“
„Hier?“ Entsetzt riss Schäfer die Augen auf. „Wo genau?“
„Erklären Sie mir erst, wer in welchem Apartment wohnt.“
„Uwe Beck hat sich im Erdgeschoss einquartiert, gleich hinter der Tür dort drüben.“ Während Schäfer sprach, zeigte er in die verschiedenen Richtungen wie ein Verkehrspolizist. „Stefan Haas finden Sie im ersten Stock, allerdings auf der gegenüberliegenden Seite. Er musste umziehen, weil Uwe es leid war, dass Stefan ihm ständig auf dem Kopf herumtrampelte. Der Arme leidet unter Schlafstörungen und ist deshalb nachts oft von Zimmer zu Zimmer unterwegs.“ Schäfer hielt die Hand hoch und spreizte Zeige- und Mittelfinger ab. „Die zweite Etage steht leer. In der dritten habe ich mich eingerichtet.“
„Rechts oder links?“, unterbrach Daniel ihn, denn er musste es genau wissen.
„Rechts. Das Stockwerk zwischen mir und Stefan Haas steht leer.“ Schäfer zuckte mit den Achseln. „Wieso?“
Um sich nicht in die Karten gucken zu lassen, setzte Daniel eine undurchdringliche Miene auf. Konnte es sein, dass sich Elisabeth Hamacher, so verwirrt, wie sie zuweilen war, in der Etage geirrt hatte? Das würde bedeuten, dass die rothaarige Frau in Schäfers Apartment ermordet worden war. Daniel setzte ihn auf die Liste der Verdächtigen. „Und ganz oben?“
„Dort lebt nur Michael Engel.“
„Die Tat soll im vierten Obergeschoss verübt worden sein, und zwar in der Wohnung, die rechts vom Treppenhaus liegt.“ Energisch schob Daniel seinen Bock zum Aufzug. „Wir müssen dringend mit Herrn Engel sprechen!“
„Seine Wohnung ist die auf der linken Seite. In der rechts stehen nicht einmal Möbel drin.“ Roman Schäfer stellte sich neben ihn vor den Lift, machte aber keine Anstalten, den Fahrstuhl zu rufen.
Es war Leander, der die Taste drückte. „Wann hat dort das letzte
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