Nr. 13: Thriller (German Edition)
unter der Tür hindurch. Das Schloss hatte Rost angesetzt. Altersschwach und müde zeigte sich das Gebäude von innen, nicht halb so geheimnisvoll wie die mit Efeu berankte Backsteinfassade.
Das machte Daniel bewusst, dass nicht das Gemäuer eine gespenstische Aura besaß, sondern die Bewohner, die es mit Leben füllten. Sie hatten ihre schaurige Vergangenheit mit hierhergebracht.
Sehnsüchtig betrachtete Daniel die Treppe. In diesem Moment hätte er nichts lieber getan, als die abgenutzten Steinstufen noch ein wenig mehr auszutreten. „In den Neunzigern vergewaltigte und tötete Beck ein achtjähriges Mädchen. Dafür kam er in den Bau. Die Kollegen vermuten aber, dass er weitaus mehr auf dem Kerbholz hat, nur leider konnte ihm nichts nachgewiesen werden.“
„Niemand wird über Nacht vom Exhibitionisten zum Mörder“, dachte Leander laut nach und knibbelte ein Stück Putz, der sich an mehreren Stellen löste, ab. „Er hat sich im Verborgenen weiterentwickelt und flog erst auf, als es zu spät war.“
„Seine Taten zu vertuschen war leichter für ihn als für jemanden mit einem festen Wohnsitz. Er jobbte früher als Saisonarbeiter im ganzen Land. Dem Mädchen lauerte er auf einem Feldweg auf. Es ging den Weg jeden Dienstag vom Musikunterricht nach Hause. Alleine.“
„Fuck!“ Leander fluchte selten und leise und senkte jedes Mal sogleich seinen Blick, als täte ihm der Ausbruch leid. „Ich hasse solche Geschichten.“
Daniel behielt für sich, dass Beck die Kleine mit einem Stein erschlug, nachdem er sie gefoltert und missbraucht hatte. „Traust du Haas einen Mord zu?“
„Eher Beck.“
„Sadisten, die ihre Minderwertigkeitsgefühle an Kindern abreagieren, greifen keine Erwachsenen an.“ Der Lift setzte sich in Bewegung. Da er knackte, knarzte und quietschte, warf Daniel einen misstrauischen Blick nach oben, in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. „Sie haben Angst vor einer Niederlage.“
Lässig lehnte sich Leander mit dem Rücken gegen die Wand und stemmte einen Fuß dagegen. „Und was war das eben?“
„Nur Sticheleien, weil ich ein Bulle bin.“ Daniel wurmte es, dass Beck ihn als schwach einstufte, nur weil er im Rollstuhl saß. „Was ist mit Haas? Könnte er die Rothaarige, die Elisabeth Hamacher gesehen hat, ermordet haben?“
„Falls der Mord wirklich stattfand. Es wurde keine Leiche gefunden, auf die die Beschreibung zutraf. Weil die DNA-Analyse noch Zeit braucht, habe ich die Vermisstenstelle gebeten, mir Fotos zu schicken, die auf das Profil der Mikwe-Leiche passen.“
Daniels Augen weiteten sich. „Das auch noch neben dem Verfassen des Berichts?“
„Ja, aber sie mailten mir nur Bilder der letzten drei Tage, und wir können nicht sicher sein, wie lange die Beobachtung der alten Dame her ist.“
„Ich habe im Urin, dass sie länger zurückliegt, als Gitte Hamacher uns weismachen will. Vielleicht sogar eine Woche oder anderthalb.“ Kurz lüftete Daniel seine Schiebermütze und massierte seine Kopfhaut. „Also, was denkst du über Haas?“
„Stille Wasser sind tief.“
„Und schmutzig.“ Daniel stutzte. „Wir sind doch wohl nicht einer Meinung?“
„Spinn nicht rum, Zucker.“ Schwungvoll stieß sich Leander von der Wand ab, denn die Aufzugtür öffnete sich und ein Mann trat heraus.
Daniel wusste nicht, was er erwartet hatte, aber das bestimmt nicht. Den Chef, wie Beck ihn genannt hatte, hatte er sich als beinharten Kerl vorgestellt, vielleicht sogar klischeehaft in Bikermontur und überall tätowiert oder mit akkuratem Seitenscheitel und Oberlippenbärtchen. Aber Pädophilen und Sadisten sah man ihre fehlgeleitete Sexualität und Gewaltbereitschaft nun mal nicht an. Hätte Daniel den Mann vor sich in einem anderen Zusammenhang kennengelernt, so hätte er ihm bedenkenlos seinen Nachwuchs anvertraut.
Innerlich stöhnte er auf. An das Thema Kinder wollte er lieber nicht denken. Zurzeit war das sein wunder Punkt. Ausgerechnet jetzt führte ihn eine Mordermittlung zu einer Hausgemeinschaft von Pädosexuellen.
Manchmal ist das Leben eine Hure, dachte Daniel und bemühte sich darum, seine privaten Sorgen zu verdrängen. Er musste einen klaren Kopf behalten!
„Guten Tag, die Herren Kriminalkommissare. Mein Name ist Roman Schäfer“, stellte er sich vor und reichte Daniel als Erstem die Hand.
Ein Punkt für ihn. Normalerweise nahm man den Rollifahrer kaum wahr. Automatisch lächelte Daniel ihn an, obwohl er ihn für das, was er getan hatte, verabscheute.
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