Nr. 13: Thriller (German Edition)
folgten, sich aber offenbar nicht trauten, ihm den Weg zu versperren oder ihn anzusprechen. Sie wagten es nur noch, zu tuscheln und zu murmeln, was in der Gesamtheit wie ein unheilvolles Summen klang.
Da Marie auf der Seite geparkt hatte, die dem ehemaligen Zuhause von Elisabeth Hamacher gegenüberlag, musste sie die Straße überqueren. Unbeabsichtigt ging sie dadurch auf den Fremden zu. Ihre Blicke begegneten sich. Sein Grinsen entblößte Eckzähne, die spitz gefeilt worden waren.
Unentwegt spielte er mit der Kette um seinen Hals, sodass der tropfenförmige Anhänger hin- und herbaumelte und Maries Aufmerksamkeit auf sich zog. Jemand anders hätte dem keine Beachtung geschenkt. Sie jedoch besaß, aufgrund ihrer Nebentätigkeit als Gerichtszeichnerin, ein geschultes Auge und achtete daher auf Details.
Diesmal jedoch verfluchte sie sich für diese Gabe.
Marie ging davon aus, dass es sich um einen der Sexualstraftäter handelte. Denn wer sonst würde freiwillig in das Haus Nummer 13 eintreten? Kurz bevor er verschwand, deutete er einen Zungenkuss an, aber Marie war sich sicher, dass er sie nicht anbaggern wollte. Sondern er beabsichtigte lediglich, sie durch die obszöne Geste und die Tatsache, dass seine Zunge gespalten war wie die einer Schlange, aus der Fassung zu bringen.
Das schaffte er jedoch nicht, denn etwas viel Schockierenderes lenkte sie ab.
Der blaue Stein kam ihr erschreckend bekannt vor! Er hatte die Form einer Träne, und der Silberhaken, der ihn mit der Gliederkette verband, die filigraner Finger. Sie hatte solch ein Exemplar schon einmal gesehen – an der Halskette von Friedrich Schuster.
„Als Geste meiner tiefgehenden Liebe zu Thijs“ , hatte er im vergangenen Sommer gesagt. „Ich stelle mir vor, die Fassung ist seine Hand, die meine Tränen hält. Noch immer sehe ich mein Baby vor mir, wie er auf der Wickelkommode liegt. Er strampelte mit nacktem Po herum und quiekte vor Lachen, weil ich ihn kitzelte, während ich ein Fingerspiel mit ihm machte. Seine Haut war so weich. Ich vermisse den kleinen Mann so sehr!“
Dann hatte er den Reim aufgesagt, den er seinem Sohn immer vorsagte:
„Eine kleine Krabbelmaus
krabbelt rüber, rein und raus,
krabbelt rauf und runter
und ist froh und munter.“
Jetzt sah Marie diese Worte in einem völlig anderen Licht. Sie stellte sich mit einem Schaudern vor, wie Schusters Hände Thijs angefasst hatten. Überall.
Stand der Tropfen in Wahrheit symbolisch für einen Phallus? Oder die Liebe zu Kindern, wie sie nur Erwachsene teilen sollten? Handelte es sich etwa um ein geheimes Erkennungszeichen unter Gleichgesinnten? Stand der Intendant mit dem Haus Nummer 13 in Verbindung?
Obwohl der Schnee am Rand schmutzig grau war, nahm Marie etwas davon und drückte es gegen ihre pochenden Schläfen. Sie brauchte dringend eine Kopfschmerztablette, denn der Gedanke, der ihr soeben gekommen war, schien sich durch ihre Schädeldecke bohren zu wollen.
War ihr Chef ebenfalls ein Pädophiler?
14. KAPITEL
Als Tomasz am nächsten Morgen ein Tablett mit Mettbrötchen auf den Schreibtisch stellte, zauberte das ein Lächeln auf Daniels Gesicht. „Ich habe zwar schon gefrühstückt, aber dazu sage ich nicht Nein.“
„Was ist mit dir?“ Tom sah Leander mit hochgezogenen Brauen an.
„In rohem Fleisch wurden schon antibiotikaresistente Keime gefunden. Dadurch kann man immun gegen Antibiotikum werden. Stell dir nur vor, du bist schwer krank und die Medikamente helfen nicht. Außerdem ist das Zeug schon durch zu viele Hände gegangen und wer weiß, ob die Handschuhe getragen haben: Metzger, Verkäuferin und …“ Leanders Stimme wurde immer leiser, da er wohl das Fettnäpfchen kommen sah, ihm aber nicht mehr ausweichen konnte, „… wer immer die Brötchen geschmiert hat.“
„Das war meine Frau“, sagte Tomasz scharf. Sein Gesicht glühte vor Entrüstung, als käme er frisch aus dem Solarium.
„Tut mir leid, ich wollte nicht … Ich hole dann mal Kaffee für euch.“ Beim Verlassen des Büros murmelte Leander: „Das sind ja nicht einmal Vollkorn- oder Roggenbrötchen. Weiße sind leere Kalorien. Müsli ist sowieso gesünder.“
Der Zwiebelgeruch ließ Daniel das Wasser im Mund zusammenlaufen. „Natalia hat uns so ja noch nie verwöhnt. Richte ihr meinen Dank aus.“
„Alles Taktik.“ Am Gürtel zog Tom seine Bluejeans hoch. „Damit glaubt sie, bei mir zu punkten.“
„Geht es immer noch darum, dass du ein Haus kaufst?“
„Jetzt wäre ganz sicher der
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