Nr. 13: Thriller (German Edition)
seine Hände um ihren Hals schlang? Hatte sie Hoffnung geschöpft, nachdem er den Würgegriff gelöst hatte? Und als das Messer ihre Kehle aufschnitt, hatte in ihren letzten Minuten Panik sie erfasst oder Erleichterung, weil die Tortur endlich vorüber war?
Der Hausmeister entriegelte die ehemalige Wohnung von Gitte und Elisabeth Hamacher für sie. Stinksauer ließ er sie alleine. Weil erst ein Vormund für die alte Dame bestimmt werden und dieser in dem Messie-Haushalt nach wichtigen Unterlagen und Wertgegenständen suchen musste, durfte er noch keine Entrümpelungsfirma anfordern. Nur die neun Katzen – drei mehr, als Frau Hamacher angegeben hatte – waren abgeholt und in ein Tierheim gebracht worden.
Angewidert über die Umstände, bemühte sich Marie, nirgendwo dranzustoßen. Sie suchte das Schlafzimmer der alten Dame. Eine Mischung aus kaltem Rauch, Katzentoilette und Pommesbude hing darin, sodass Marie als Erstes das Fenster weit öffnete. Sie blickte unmittelbar auf das Haus Nummer 13 gegenüber. Ihr Puls beschleunigte sich allein aus der Tatsache heraus, dass sie wusste, wer dort lebte. Böse Menschen, so tuschelte man in Köln.
Die Protestrufe der Männer und Frauen, die auf dem Bürgersteig patrouillierten, schallten bis zu ihr hinauf. Immer wieder steigerten sie sich zu einem Crescendo, wurden wieder leiser und stachelten sich erneut gegenseitig an. Die permanente Geräuschkulisse nervte. Maries Haut kribbelte unangenehm. Die Aggression machte sie nervös, daher schloss sie das Fenster wieder.
Plötzlich glaubte sie, beobachtet zu werden. Aus dem Apartment einen Stock tiefer. Doch als sie die dritte Etage des Gebäudes gegenüber musterte, sah sie niemanden. Ihr war, als besäße das Haus mit der Unglücksnummer selbst Augen.
Ihr lief ein Schauer über den Rücken. Sie trat von der Scheibe zurück, doch das Gefühl blieb.
Obwohl sie sich ekelte, legte sich Marie auf das Bett, um die Perspektive in ihrer Kohlezeichnung anzugleichen. Doch sie konnte im Liegen keins der Fenster sehen. Irritiert setzte sie sich auf. Immerhin kam jetzt das linke Fenster in ihr Sichtfeld, doch das war nicht die Wohnung, in der der Mord geschehen sein sollte. Oder hatte sich die alte Dame vertan?
Marie musste sich vorneigen, um in das rechte Apartment spähen zu können, aber immerhin funktionierte es. Gerade so eben. Ob das allerdings mit einer Körperfülle wie der von Frau Hamacher und der daraus resultierenden Unbeweglichkeit funktionierte, musste sie zu einem späteren Zeitpunkt mit der Zeugin testen.
Marie schaute auf ihre Armbanduhr. „Schon so spät?“
In zwei Stunden wurde sie im Musical Dome zu einer außerplanmäßigen Kostümanprobe erwartet und sie musste vorher noch ins Polizeipräsidium, um das Phantombild abzugeben. Dem Intendanten Friedrich Schuster höchstpersönlich gefielen die verspielten Accessoires der Ausstattung für eine neue Inszenierung nicht. Marie hatte sie reduzieren müssen und der Regisseur kochte vor Wut, weil Schuster ihm reinredete.
Nachdem sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, atmete Marie erleichtert auf. Wie konnte nur jemand in solch einem Chaos und Schmutz leben? Eilig fuhr sie ins Erdgeschoss und trat auf den Gehsteig hinaus. Die gesamte Nachbarschaft musste sich an der Protestaktion beteiligen, denn sonst würde sich irgendwer sicherlich über die permanenten Schmährufe bei der Polizei beschweren. Sie waren nicht nur Psychoterror für die Ex-Inhaftierten, sondern für die ganze Bruchstraße!
Unbeirrt bahnte sich von hinten ein hochgewachsener Mann durch die Menge. Er stieß eine Frau so harsch beiseite, dass diese ihr Schild verlor. Schimpfend hob sie es auf, doch der Mann beachtete sie nicht.
Wie gebannt starrte Marie hinüber. Zuerst glaubte sie, sich verguckt zu haben, doch er hatte tatsächlich zwei Wülste auf der Stirn. Kurz bevor Benjamin den Warnschussarrest antreten musste, hatte sie sich mit ihm einen Fernsehbeitrag über Tattoos und Piercings angeschaut. Während er dem Thema aufgeschlossener gegenüberstand, war sie regelrecht entsetzt darüber gewesen, dass ein Mann sich die Augäpfel hatte tätowieren und eine Frau sich Schnurrbarthaare hatte implantieren lassen, um wie eine Katze auszusehen.
Nur dank der Dokumentation erkannte sie, dass der Mann auf der anderen Straßenseite Hörner implantiert hatte. Er trug rote Kontaktlinsen und einen Ledermantel. Das alles ließ ihn so dämonisch wirken, dass die Männer und Frauen ihm zwar wie ein Rattenschwanz
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