Nr. 13: Thriller (German Edition)
kultiviert aussah. Er musste sich daran erinnern, dass Äußerlichkeiten täuschen konnten, um sich innerlich nicht zu sehr zu entspannen, denn genau das tat er. Wie hatte Daniel einmal gesagt? „Statt Hörner tragen Teufel in der Realität oft ein Lächeln, dem man nur schwer widerstehen kann.“
„Wie alt bist du?“
„Alt genug“, gab Ben trotzig zurück.
„Für was?“
„Um meinen eigenen Weg zu gehen.“
„Du lebst auf der Straße?“
„Die Platte ist mein Zuhause.“ Diese Worte hörten sich fremd für Ben an. „Ich brauche niemanden.“
Mitfühlend schaute der Mann an Ben auf und ab. „So siehst du aber nicht aus.“
Beinahe hätte Ben triumphierend gegrinst, doch er hielt sich im letzten Moment davon ab. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Er wischte seine schwitzigen Handflächen an der Hose ab.
„Du gehst nicht zur Schule, oder?“
„Alles, was ich brauche, lerne ich vom Leben direkt.“
„Klingt philosophisch für einen Fünfzehnjährigen.“ Schmunzelnd strich der Unbekannte über seinen Bart. „So alt bist du doch in etwa, oder, Junge?“
„Meine Kumpels nennen mich Kobold.“ Ben hatte den Namen im Gedenken an seine Hausratte ausgewählt. Sie war brutal niedergemetzelt worden. Noch jemand, dem er nicht hatte helfen können. Er ballte eine Faust in der Tasche.
„Ich heiße Roman. Hast du Hunger?“
Eifrig nickte Benjamin, obwohl ihm speiübel vor Aufregung war.
Roman trat beiseite und machte eine einladende Geste. „Ich habe Käse und Mortadella da. Magst du italienische Schinkenwurst?“
Ben hatte den Eindruck, Köder vor die Nase gehalten zu bekommen. Instinktiv tastete er nach dem Kochmesser, das zwischen Hosensaum und Rücken steckte.
„Was hast du da?“
„Nichts“, sagte Ben etwas zu eilig. „Der Pulli kratzt nur.“
„Du kannst bei mir baden.“ Romans Lächeln wurde breiter. „Vielleicht finde ich auch neue Klamotten für dich. In diesen schmutzigen Kindersachen kannst du dich unmöglich wohlfühlen. Die sind bestimmt aus der Kleiderkammer, oder? Hatten die nichts für dein Alter?“
Benjamin schwieg. Denn hätte er den Mund geöffnet, wäre ein Schrei herausgekommen. So lief das also ab. Mit Freundlichkeit, Geschenken und Hilfsbereitschaft.
Aber er war kein potenzielles Missbrauchsopfer, sondern ein Undercover-Agent, ein Superheld, ein Soldat auf einer Mission. Um herauszufinden, was mit der Rothaarigen, die in diesem schaurigen Gebäude getötet worden war, geschehen war, musste er es betreten. Daran führte kein Weg vorbei. Das hatte er vorher gewusst. Das war es, was er gewollt hatte.
Doch nun schlotterten seine Knie. Schweiß floss seine Wirbelsäule hinab. Der dunkle Korridor hinter Roman sah aus wie ein weit aufgerissenes Maul. Das Gebäude schien ihn fressen und verschlingen zu wollen. Die Finsternis zog ihn auf schaurige Weise an. Er konnte sich dem Sog kaum widersetzen. Als würde das Gebäude langsam einatmen und ihn einsaugen.
Als Ben über die Schwelle in die Bruchstraße 13 trat, war seine Kehle wie zugeschnürt. Er bekam kaum Luft. Die Tür schlug hinter ihm zu. Dunkelheit umgab ihn. Kein Licht brannte. Es roch muffig. Er bekam eine Gänsehaut, denn Roman stand dicht hinter ihm.
Erst jetzt fiel ihm auf, dass sein ach so toller Plan einen Fehler hatte.
Niemand wusste, dass er hier war. Er hatte niemanden eingeweiht, nicht einmal eine Nachricht für den Notfall hinterlassen.
Sollte ihm etwas zustoßen, wusste keiner, wo man ihn suchen sollte.
16. KAPITEL
Als Daniel und Leander in der Bruchstraße ankamen, fanden sie die Situation unverändert vor. Dunkle Wolken hingen tief über den Dächern, als hätten sie sich seit gestern nicht fortbewegt. Dicke, puffige Schneeflocken schwebten sanft zur Erde und schmolzen sogleich auf dem Asphalt, weil der Boden nicht kalt genug war.
Die Straßenschlucht machte den Eindruck, der Vorhof zur Hölle zu sein. Das Haus Nummer 13 hätte besser in einen Gruselfilm gepasst als nach Ehrenfeld.
Noch immer patrouillierten einige Mitglieder der Bürgerinitiative, doch es handelte sich nur um eine kleine Gruppe von drei Frauen mittleren Alters, eine davon mit Kopftuch. Daniel vermutete, dass es sich um Hausfrauen handelte. Ein Kinderwagen stand in einem Hauseingang. Vermutlich mussten ihre Mitstreiter arbeiten und sie hielten die Stellung.
Ihm fiel etwas auf, das er beim letzten Besuch zwar unbewusst wahrgenommen, aber nicht näher darüber nachgedacht hatte. Die Protestierenden postierten sich niemals
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