Nr. 13: Thriller (German Edition)
unmöglich. Sie stritten sich darüber, als ich gerade an seiner Bürotür klopfen wollte. Ich hatte nicht beabsichtigt, zu lauschen, ehrlich nicht, aber die beiden haben sich angeschrien.“ Entschuldigend zuckte Annett mit den Achseln.
Marie nickte nur, um ihren Redefluss nicht zu unterbrechen.
„Getrieben haben sie es dann doch nicht. Er hat sie angebrüllt und sie rausgeworfen. Ich konnte gerade noch so tun, als ginge ich zufällig vorbei.“ Grinsend aß die Blondine den restlichen Speck.
Eine düstere Ahnung beschlich Marie. „Wollte er gar keinen Nachwuchs?“ Hatte er etwa Angst, seine Finger nicht im Zaum halten zu können?
„Doch, ich glaube schon. Wann immer er etwas Kleines sah, taute er auf. Mir kam es manchmal so vor, als wäre er nur zu Kindern freundlich und hätte etwas gegen Erwachsene. Er wollte es wahrscheinlich bloß nicht auf der Arbeit mit seiner Frau treiben. Zu Hause muss Leentje ihn auf jeden Fall rumgekriegt haben“, Annett zwinkerte frivol, „denn kurz darauf war sie schwanger.“
„Ich habe ihn nie über Nachwuchs reden hören“, log Marie.
„Er spricht nicht über Thijs. Und verbietet es auch allen anderen.“
Marie horchte auf. „Normalerweise sind Väter stolz auf ihren Stammhalter. Stimmte etwas nicht mit dem Kleinen?“
„Der war kerngesund.“
„War er ein Kuckuckskind?“
Annett prustete. „Schuster hätte Leentje geteert und gefedert.“
Verlassen hatte sie ihren Ehemann nicht, denn Marie hatte sie noch in der letzten Woche im Musical Dome gesehen.
Verschwörerisch dämpfte Annett ihre Stimme. „Thijs verschwand spurlos.“
„Was?“ Maries Gesicht flog zu ihr herum.
„Da war er erst drei Monate alt. Mag Schuster auch eine doofe Nuss mit einer harten Schale sein, aber er hat einen weichen Kern, ich weiß es genau. Er hat oft heimlich in seinem Büro geweint. Nicht, dass ich gelauscht hätte …“
„Schon klar.“ Marie glaubte ihr kein Wort. „Wann war das?“
„Im letzten Sommer. In der Zeit danach hat er oft Termine vergessen. Er war richtig durch den Wind. Hat stark abgenommen, weshalb seine Wangen jetzt flattern wie Fahnen, wenn er den Kopf schüttelt.“ Annett kicherte über den Vergleich. „Hat ihn sympathischer gemacht.“
Das tat Marie sehr leid. „Wie ist das passiert?“
„Ich weiß nichts Genaues. Es darf ja niemand darüber reden.“ Ein weiteres Stück Mäusespeck landete in Annetts Mund.
Aus einem unerfindlichen Grund tauchte Timmy Janke vor Maries geistigem Auge auf. Der Junge, der von einem der Pädophilen aus der Nummer 13 umgebracht wurde. Auch er war eine Zeit lang wie vom Erdboden verschluckt. Bis seine geschändete Leiche auftauchte. War Friedrich Schuster gar nicht einer von ihnen, sondern der Vater eines ihrer Opfer?
Vor Aufregung bekam Marie nichts mehr um sich herum mit. Nichts von den Proben und auch nichts von dem Ausgang des Streits zwischen dem Intendanten und dem Regisseur. Eine einzige Frage beherrschte ihre Gedanken.
Was geschah mit dem kleinen Thijs?
19. KAPITEL
Ben legte den dunklen Mantel, den Roman Schäfer ihm bei ihrem ersten Treffen geschenkt hatte, auf einen abgewetzten Ohrensessel. Eigentlich versank er darin, aber er wusste die Geste sehr zu schätzen. Roman besaß selbst wenig und trotzdem war er großzügiger als Irene und Rainer Bast, die nur spendeten, wenn die Presse es mitbekam.
Gestern hatte er lediglich die Küche von Romans Wohnung gesehen. Jetzt stand er im Wohnzimmer. Neugierig schaute er sich um. Die Möbel sahen aus, als hätte Roman sie auf dem Flohmarkt erstanden. Der Schrank musste noch aus den Siebzigerjahren stammen. Er hatte überall Katschen, als wäre er schon oft durch enge Treppenhäuser getragen worden, und sollte abgeschliffen und neu lackiert werden. Aber Roman machte auf Ben den Eindruck, als könnte er mit Worten besser umgehen als mit Werkzeug.
Am Couchtisch splitterte hier und da Holz ab. Die vielen Abdrücke von Gläsern machten ihn nicht gerade ansehnlich. Ein beigefarbener Teppich sollte den Raum, der wie das ganze Apartment mit grauen Linoleumplatten ausgelegt war, wohl gemütlicher machen, doch er hatte Flecken und gehörte nach Benjamins Empfinden in den Müll.
Das einzig Schöne im Zimmer war eine Akustikgitarre, deren Klangkörper von einem warmen Gelbton war. Sie hing in einer einfachen Halterung hinter dem Sofa und Ben fragte sich, ob man darauf noch spielen konnte.
Vielleicht hatte er beim Betrachten der heruntergekommenen Einrichtung unbewusst die
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