Nr. 13: Thriller (German Edition)
durchaus wussten, dass diese von der Gesellschaft nicht anerkannt waren. Dennoch kamen sie entweder nicht gegen diese Gelüste an oder fanden sie völlig in Ordnung für sich oder beides, das hatte Marie durch ihre Anwesenheit bei Gerichtsverhandlungen mitbekommen.
Der Intendant des Musical Domes und der Regisseur Pillner stritten sich wie die Kesselflicker, während hinter ihnen auf der Bühne eine Probe stattfand. Man hörte das Gezanke sogar trotz lauter Musik und mikrofonverstärkten Gesangs. Auf Anweisung von Schuster hatte Marie die verspielten Accessoires von der Garderobe der Schauspieler und Sänger entfernen müssen.
„Die Kostüme wirken langweilig, ohne Akzente, einfallslos. Sie gehen völlig unter.“ Pillners Gesicht lief rot an vor Wut.
„Haben Sie keine Augen im Kopf?“, schrie Schuster und stemmte seine Hände in die schmalen Hüften. Seine faltigen, hängenden Wangen blähten sich kurz auf. „Durch den Minimalismus setzen sie sich erst von der Szenerie ab.“
„Das ist Dilettantismus.“
„Das ist Kunst!“
„Jetzt passen die Gewänder gar nicht mehr zum märchenhaften Hintergrund.“
Schuster machte eine wegwerfende Geste. „Der muss ohnedies angepasst werden.“
„Auf keinen Fall! Das ist mein Stück.“
„Und das ist mein Theater.“
Die beiden Streithähne standen so dicht beieinander, dass sich ihre Nasenspitzen fast trafen. Peinlich berührt schaute Marie neben ihnen im Saal umher. Sie war es von Haus aus nicht gewohnt, dass man vor den Augen anderer derart die Fassung verlor.
Annett, die in der zweiten Reihe saß, winkte Marie zu sich. Auffordernd klappte sie den Sitz neben sich hinunter und klopfte darauf.
Marie ließ sich mit einem Seufzen neben ihr nieder.
„Lehn dich zurück und genieße das Schauspiel.“
„Lass mich raten, du meinst nicht die Probe, nicht wahr?“, sagte Marie schmunzelnd. „Glaubst du, sie werden sich prügeln?“
„Wer weiß.“ Als Annett ihre Aktentasche öffnete, kam eine Tüte Mäusespeck zum Vorschein. Sie bedeutete Marie, zuzugreifen, doch diese schüttelte den Kopf. „Wir werden es bald erfahren.“
„Du scheinst dich gut zu amüsieren.“
„Die beiden haben sich verdient, findest du nicht?“, fragte Annett, schob sich eine Schaumzuckermaus in den Mund und kaute genüsslich darauf herum.
Neben Pillners Assistentin kam sich Marie farblos vor. Wie eine Motte neben einem Schmetterling. Obwohl Annett kein Make-up benutzte, war sie eine der schönsten Frauen, die Marie kannte. Sie hatte ihre langen kupferblonden Haare zu einem lockeren Bauernzopf gebunden. Ihre smaragdgrünen Augen strahlten. Durch die Sommersprossen sah sie immer gut gelaunt aus. Nur dass sie ihre üppigen Rundungen in wallende Leinenkleider steckte, gefiel Marie nicht.
Maries Blick wurde immer wieder von dem tränenförmigen Stein um Friedrich Schusters dünnen Hals angezogen.
Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Pillners Assistentin sah und hörte mehr als jeder andere im Team. Dadurch, dass der Regisseur sich nicht mit dem Intendanten verstand, musste sie oft zwischen ihnen vermitteln. Vielleicht bekam sie bei ihrer Arbeit auch etwas über deren Privatleben mit, was Marie ihr entlocken konnte.
Sie neigte sich zu ihrer Nachbarin. „Schuster macht selbst mir Angst, wenn er so herumschreit. Wie gut, dass er keine Kinder hat.“
„Hatte er doch.“
„Hatte?“ Marie tat überrascht. In gespieltem Erstaunen runzelte sie die Stirn.
„Wusstest du, dass seine Frau Holländerin ist?“
„Nein.“
„Und 14 Jahre jünger als der alte Knacker?“
„So alt ist 52 nun auch wieder nicht“, wandte Marie ein. Sie und Daniel trennten immerhin auch sieben Jahre. „Was war mit ihrem Kind?“
„Leentje, das ist seine Frau, ihre Uhr tickte wohl. Ich habe die beiden einmal beinahe dabei erwischt, wie sie über seinem Schreibtisch hingen.“
Maries Augen weiteten sich. Das hätte sie Schuster gar nicht zugetraut. Sie hatte ihn noch nie ohne Krawatte und Jackett gesehen, zugeknöpft bis auf den obersten Knopf und mit steifem Schritt wie ein Feldwebel. Selbst ein Lächeln kam bei ihm selten vor.
„Aber eben nur fast.“ Annett biss einer Maus den Kopf ab und sprach mit vollem Mund: „Leentje wollte, na du weißt schon, und zwar sofort in seinem Büro, weil sie zu dem Zeitpunkt täglich ihre Temperatur nahm und die Zeit gut war, um ein Baby zu machen.“
Marie staunte nicht schlecht darüber, was ihre Kollegin alles wusste.
„Der dröge Knochen fand das allerdings
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