Nr. 13: Thriller (German Edition)
nur beschwerlich mit seinem Chopper voran. Er fühlte sich kraftlos und fragte sich, ob er nicht doch besser einen Schreibtischjob im Polizeipräsidium angenommen hätte.
Aber dann dachte er an Michael Engel, seine merkwürdigen Antworten und seine schreckliche Tat. Viele Männer betrachteten ihren Penis als etwas Heiliges. Seit sie sich ihres Schwanzes bewusst waren, fassten sie ihn gerne an und ließen ihn seit der Pubertät auch gerne anfassen. Wenn jemand den krassen Schritt machte, ihn abzuschneiden, musste vorher etwas Gravierendes passiert sein. Nur was?
Als er in Dr. Krishan Bakshis Büro hineinfuhr, fand er ihn an seinem Schreibtisch sitzend vor. Für einen Inder war er recht stämmig, fand Daniel zumindest. Seine Haut hatte dieselbe Farbe wie der leicht milchige Schwarztee in der Tasse vor ihm. Die grauen Strähnen in seinem Haar konzentrierten sich auf die Partie über seinen Ohren.
Seine Zähne müssen gebleicht sein, dachte Daniel. Niemand hat so weiße Beißerchen. Außerdem muss er seine buschigen Augenbrauen kämmen.
Vor den Besucherstühlen standen zwei goldene Kästchen mit Visitenkarten auf dem Tisch. Darauf stand Bakshis Name in fett gedruckten Großbuchstaben, darunter zwar etwas kleiner, dafür farblich abgehoben: Facharzt für plastische und rekonstruktive Chirurgie, Ausbildung in Neurochirurgie, Urologie und Mikrochirurgie , und in einem blassen Ton seine Kontaktdaten.
Der Arzt stand weder auf noch reichte er ihm die Hand. „Was wollen Sie? Ich bin ein vielbeschäftigter Mann und habe zu tun!“
„Kommissar Zucker.“ Daniel holte weder Dienstausweis noch seine Marke heraus. Bei der Begrüßung hatte er schlichtweg keinen Bock dazu.
Stirnrunzelnd musterte Dr. Bakshi den Rollstuhl.
„Ja, ich bin wirklich ein Bulle“, beantwortete Daniel die unausgesprochene Frage seines Gegenübers, bemüht, seine Verärgerung nicht so deutlich zu zeigen, wie er es gerne getan hätte. „Kriminalhauptkommissar, um genau zu sein. Man hatte mich angemeldet.“
„Ja, ja. Was wollen Sie von mir? Ich muss gleich in den OP. Ein komplizierter Eingriff. Und vorher noch diesen“, energisch deutete der Arzt auf seinen Computer, „Bericht schreiben. Machen Sie es kurz.“
„Die Befragung wird so lange dauern, bis ich zufriedengestellt bin. Oder soll ich Sie aufs Präsidium vorladen? Das würde noch mehr Ihrer kostbaren Zeit in Anspruch nehmen.“
Bakshi ließ die ganze Zeit seine Maus nicht los. Unruhig warf er erneut einen Blick auf den Bildschirm. Er machte einige Klicks, bevor er Daniel sichtlich genervt wieder anschaute. „Das wird nicht notwendig sein. Nun, was kann ich für Sie tun?“
„Es geht um Michael Engel. Ich weiß, meine Kollegen haben Sie bestimmt schon zu seiner Selbstverstümmelung befragt.“
„Niemand war bei mir.“
„Nicht?“ Verwundert strich Daniel über seinen am Morgen frisch gestutzten Henriquatrebart.
„Wozu auch? Es liegt ja keine Straftat vor.“
Vermutlich dachten alle so, vielleicht sogar, dass die Kastration Engel recht geschähe. Die Kollegen hatten kein Verbrechen gesehen, nur den Verbrecher, der sich selbst eine gerechtere Strafe zugefügt hatte als die Justiz zuvor.
„Natürlich bin ich mir bewusst, dass Sie der Schweigepflicht unterliegen.“
„Gilt das auch für Pädophile?“ Klick, klick. „Meiner Auffassung nach nicht.“
Sie wussten beide, dass das nicht stimmte, aber Daniel schwieg dazu. Es ging immerhin nicht um eine Zeugenaussage, die vor Gericht Bestand haben musste, sondern nur um ein unbestimmtes Gefühl, das Daniel antrieb. „Wann wird er denn in eine psychiatrische Einrichtung überwiesen?“
„Solange der Heilungsprozess dauert, bleibt er bei uns. Danach würde es den Richtlinien nach eigentlich in die Psychiatrie gehen. Aber er stellt keine Gefahr für andere dar und die Betten sind voll. Nun, ja, er wird nach Hause geschickt werden, weil er eingewilligt hat, eine ambulante Psychotherapie zu machen.“
„Das lassen Sie zu? Er sollte unter ständiger Beobachtung stehen, damit er sich nicht noch einmal etwas antut.“
„Mir ist egal, was mit ihm passiert.“ Klick, klick.
Daniel war klar, was das Desinteresse auslöste. Aber auch ein verurteilter Sexualstraftäter besaß Rechte und sollte vor sich selbst geschützt werden. Es machte den Anschein, als würde sich niemand eingehend mit Michael Engel befassen, als hätten weder die Kollegen noch die Ärzte oder sein Bewährungshelfer etwas dagegen, wenn er das Messer beim nächsten
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