Nr. 13: Thriller (German Edition)
Zeit vergangen. Die Bakterien hatten Zeit, sich ins offene Fleisch reinzufressen und sich festzusetzen.“
Vor seinem geistigen Auge sah Daniel ein Fleischmesser mit einer Klinge, die so glatt und scharf war, dass man Knochen auslösen und Sehnen durchtrennen konnte. Am Tatort war ein solches mit dem Blut von Engel sichergestellt worden. Das bewies jedoch gar nichts. Hätte Engel mehrmals angesetzt, wären mehrere glatte Schnittstellen vorhanden gewesen, anders als bei einer Wellenschliffklinge.
Handelte es sich bei dem Fleischmesser etwa nicht um die Tatwaffe? Daniel sah keinen Grund, warum Engel und seine Freunde Schäfer, Haas und Beck gelogen haben sollten. Selbst wenn jemand anders die Kastration durchgeführt hätte, hätten sie Engel das Schneidinstrument einfach unterschieben können.
Was geschah wirklich in dem düsteren efeuberankten Gebäude? Wie hatte Michael Engel seinen Schwanz verloren?
Statt eins der Geheimnisse der Bruchstraße Nummer 13 zu lösen, hatte Daniel bei Dr. Krishan Bakshi nur neue Fragen gefunden. Er verabschiedete sich von ihm und drehte seinen Bock herum. Dabei fiel sein Blick auf das Spiegelbild des Bildschirms in der Fensterscheibe.
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22. KAPITEL
Manchmal geschahen kleine Wunder. Jedenfalls bekam Daniel den Durchsuchungsbefehl für Michael Engels Wohnung nach ein paar Tagen, obwohl die Indizien für ein Verbrechen dürftig waren – aber sie waren da! Er hatte der Staatsanwältin Lioba Zur seine Argumente so leidenschaftlich vorgebracht, dass diese schließlich zugestimmt hatte, den vermeintlichen Tatort genauer unter die Lupe nehmen zu lassen.
Es rankten sich immer mehr Geheimnisse um das Haus der Pädophilen. Zu viele Spuren führten zu der Wohngemeinschaft. Daniel konnte Zurs Skepsis wecken. Sie hörte ihm zu, bis er die komplette Geschichte erzählt hatte, was bei allem Gegenwind eine Wohltat war.
Vielleicht hatte sie ein offenes Ohr für ihn, weil sie als Kleinwüchsige wusste, dass man als Mensch mit einer Behinderung doppelt so viel strampeln musste, um sich durchzusetzen. Daniel mochte sie nicht nur, sondern er empfand großen Respekt. Er nahm sie sich als Vorbild, noch gelassener mit seiner Querschnittslähmung umzugehen. Andere konnten den Rollstuhl nur übersehen, wenn er ihn selbst vergaß.
„Ihre Kollegen scheinen nicht gut auf Sie zu sprechen zu sein.“ Roman Schäfer deutete auf die beiden Polizisten, die das Apartment mit deutlichem Widerwillen auf den Kopf stellten und Daniel, der ungeduldig in der Diele wartete, böse Blicke zuwarfen.
Daniel gab lediglich ein Murren von sich. Er hatte ihnen seine Erkenntnisse mitgeteilt, aber sie hatten sie als Hirngespinste eines unterforderten Kommissars abgetan. Die Akte sei längst geschlossen. Sie hätten Wichtigeres zu tun, als sich um einen Pädophilen zu scheren. Sie glaubten weiter an Selbstverstümmelung, denn dass man sich an Kindern vergriff, bewies doch bereits, dass man eine Schraube locker hatte. Daniel sah das anders. Eine abnorme sexuelle Neigung wies nicht auf eine generelle psychische Erkrankung hin. Sein Gerechtigkeitssinn ließ gar nichts anderes zu, als den Hinweisen nachzugehen. Also hatte er selbst mit dem Fuchs und Lioba Zur gesprochen.
Wieder ein paar Feinde mehr! jubelte er ironisch.
„Machen Sie sich nichts daraus. Das Richtige zu tun macht oft einsam, das habe ich durch dieses Wohnprojekt am eigenen Leib erfahren.“ Freundschaftlich tätschelte Schäfer Daniels Schulter. Dann hielt er ihm auffordernd seine Hand hin. „Ich möchte Ihnen danken, Kommissar Zucker, dass Sie diesem Verbrechen nachspüren, auch wenn es an einem verurteilten Sexualstraftäter begangen wurde. Dazu gehört Mut. Sie sind einer der aufrichtigsten und couragiertesten Männer, die ich je kennengelernt habe!“
„Fall es denn so war.“
„Immerhin besteht ein Anfangsverdacht, sonst hätten Sie keinen richterlichen Beschluss erwirken können.“
Na bravo, dachte Daniel. Ich habe es mir mit meinen eigenen Leuten verscherzt und stehe nun auf der Seite der Kinderschänder.
Vor wenigen Tagen hätte er niemals geglaubt, dass das hätte passieren können. Aber wenn Michael Engel kastriert worden war, aus welchem Grund auch immer, musste der Täter gefasst und verurteilt werden, egal was Engel getan hatte.
Daniel erinnerte sich an seinen ersten Besuch mit Leander in diesem geächteten Gebäude.
„Die Bewohner schließen selbstverständlich ab“ , hatte Schäfer ihnen
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