Nr. 13: Thriller (German Edition)
Häufchen Elend in einen Sitz fallen und rieb immer wieder über seine Stirn.
Mitfühlend dreinblickend, reichte seine Frau Leentje ihm eine Tablette und ein Glas Wasser.
Kaum hatte er die Pille eingenommen, sprang er auf und rief über die Musik hinweg: „Nicht so herumspringen wie irre Hampelmänner. Auch Märchenadaptionen können mit Ernsthaftigkeit vorgetragen werden. Herrgott noch mal, hört mir überhaupt einer von euch dort oben zu?“
Leentje setzte sich neben Marie in die erste Reihe, lächelte entschuldigend und neigte sich zu ihr herüber. „Eigentlich ist er niet zo . Er steht nur unter Strom.“
„Verständlich.“ Ihr blumiges Parfüm kitzelte Marie in der Nase. Sie behielt für sich, dass ihr Mann auf der Arbeit schon immer aufbrausend gewesen war. Vielleicht spielte er ja zu Hause den Pantoffelhelden. Es stand ihr nicht zu, jemanden schlechtzumachen, besonders nicht bei dessen Ehefrau.
Verzweifelt bemühte sich Pillners Assistentin, zwischen dem Ensemble und Schuster zu vermitteln. Möglicherweise befürchtete Annett, die Darsteller könnten sich ebenfalls krankschreiben lassen, weil sie seine Launen satthatten.
Leentje stellte das Glas auf den Boden. Dabei rutschte ihr Dekolleté tiefer. Als sie sich wieder aufrichtete, fiel Marie der Anhänger ihrer Kette auf. Sie hatte ihn vorher nicht bemerkt, weil er sich unter dem Pullover versteckt hatte.
Blau. Tropfenförmig. Gehalten von einer handförmigen silbernen Fassung.
Überrascht starrte Marie ihn an. Sie konnte kaum glauben, was sie da sah. Nicht nur ihr Ehemann und Vinzent Quast trugen eine Träne, sondern auch Leentje Schuster. Das verwirrte Marie vollends. Der Online-Artikel hatte ihre These, dass es sich dabei um ein Zeichen aus der Pädophilen-Szene handelte, nicht bestätigt, und so hatte sie diesen Gedanken erst einmal beiseitegeschoben. Aber durch ihre erste Vermutung hatte sie fälschlicherweise erwartet, es würde damit zusammenhängen, dass die beiden Männer waren. Doch das schien nicht der gemeinsame Nenner zu sein, den sie suchte.
Wie sie jetzt feststellte, hatte ihr Unterbewusstsein ihren Chef doch noch nicht vollkommen von dem Verdacht freigesprochen, dass er ein Kinderschänder sein könnte. Auch Pädophile wurden Opfer von Verbrechen. Wie sie von einem Gespräch mit Daniel wusste, war Michael Engel, den jemand entmannt hatte, das beste Beispiel dafür.
Vielleicht hatte irgendwer Schuster sein Spielzeug gestohlen.
Möglicherweise ein anderer Kinderschänder, der scharf auf Thijs war, oder ein Eingeweihter, der den Säugling retten wollte, bevor er in das Alter kam und perverse Gelüste bei seinem Vater auslösen konnte. Marie wollte gerne an die letzte Theorie glauben, denn dann wäre der Junge in Sicherheit.
Was wusste Leentje? Verstohlen sah Marie sie von der Seite an. Zum Kreis der Pädosexuellen zählten zwar zum Großteil Männer – aber ein Anteil von zehn bis fünfzehn Prozent entfiel auf Frauen!
Zwei dicke hellblonde, fast weiße Strähnen von vorne wurden an ihrem Hinterkopf von einer Schildpattklammer zusammengehalten. Leentje löste die Klammer, strich verlegen einige ihrer Haare zurück und steckte sie fest. Durch diese Bewegung schwang der Anhänger hin und her.
Er zog Maries ganze Aufmerksamkeit auf sich. „Einen hübschen Stein haben Sie da.“
„Ein Diamant. Een karaat. “
„Trägt Ihr Mann nicht auch so einen?“
Kreisrunde rote Flecken traten auf Leentjes Wangen. Bestätigend lächelte sie.
„Ein wirklich wunderschöner Schmuck! Darf ich mal sehen?“
Mit gefurchter Stirn schaute Leentje zu ihrem Ehemann, der gerade seine Handflächen aneinanderlegte und sie gen Bühne reckte. „Er wurde in der Schweiz angefertigt.“
„Bestimmt ein Geschenk Ihres Mannes. Eine Art Paarschmuck, richtig?“ Marie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie ihr Honig um den Mund schmierte, nur um mehr über diese mysteriöse Kette zu erfahren.
„Ich wollte den Anhänger unbedingt haben. Friedrich war zuerst dagegen. Er fand es makaber.“
„Makaber?“
Hektisch klimperte Leentje mit ihren schwarz getuschten Wimpern. „Das ist das falsche Wort. Ich lebe schon viele Jahre in Köln, aber mit het Duits habe ich immer noch problemen .“
Das war Marie noch nicht aufgefallen.
„Merkwürdig, er fand es merkwürdig, wollte ich sagen. Ein Mann trägt keinen Schmuck, meinte er, außer zijn trouwring , es sei denn, er ist vom anderen Ufer.“
„Allein diese Fassung! So filigran gearbeitet.“
Endlich ließ
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