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Nr. 799 (German Edition)

Nr. 799 (German Edition)

Titel: Nr. 799 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuna Stern
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werde ich später die Augen auskratzen, es tut mir sehr leid, dass du ausgerechnet bei deiner Ankunft auf diese Verrückte gestoßen bist.«
    Die Leiterin schnaubte und drückte meine Hand noch fester, und wir liefen schweigend weiter, bis sie vor einer Gittertür stehen blieb.
    Also das sieht nun doch sehr nach Zelle aus , dachte ich kummervoll.
    »Keine Sorge«, wisperte Eleonore S., als hätte sie meinen Gedanken mitbekommen. »Das ist mein Design. Bei den anderen Abteilungen sieht diese Tür anders aus. Bei den Kindertanten sind auf der Tür Blumenherzchen und Gänseblümchenkätzchen abgebildet. Das fände ich persönlich viel schlimmer.«
    »Ich auch«, pflichtete ich ihr bei und atmete etwas erleichtert aus. Okay, das hieß, dass diese Tür nicht zu einem wirklichen Gefängnis führen musste. Nicht zu einer richtigen Zelle. Oder? Bitte nicht.
    Ohne, dass die Leiterin mit der Wimper zuckte oder irgendetwas Philosophisches, Zauberhaftes oder Ähnliches sagen musste, öffnete sich die Tür von selbst.
    »Ha, da bist du baff, was?«, lächelte sie mich triumphierend an. »Die Tür kennt mich. In ein paar Wochen wird sie sich auch bei dir einfach öffnen. Für den Anfang musst du aber die Türklinke in Gebrauch nehmen und deine Nummer eintippen. Capiche?«
    »Yep.«
    Sie zog mich durch die Tür in einen weiteren, schmaleren Gang, dessen Wände diesmal aus weißem Backstein bestanden. Der Boden war noch immer aus Glas, das violette Wasser darunter glänzte und offenbarte silberne Fischchen darin.
    »Silberfische«, kicherte Eleonore S. »Das ist ein Insider von uns. Verstehst du? Unter unserer Abteilung gibt es Ungeziefer.« Sie grunzte und schüttelte die Dauerwelle vor Belustigung.
    Anschließend zog sie mich weiter. Bei jedem ihrer Schritte traf ihr Krückstock auf dem Boden auf und hinterließ ein seltsames Geräusch, bei dem sich Gänsehaut auf meinen Armen bildete. Genauso, wie wenn jemand mit Fingernägeln über eine Tafel kratzte oder wenn ...
    Und plötzlich fiel mir ein Bild wie Schuppen von den Augen.
    Ich erinnerte mich, dass mich jedes Mal ein unangenehmes Gefühl einholte, wenn ich Styropor berühren musste. Ich hasste Styropor. Es brachte mich immer zum erschauern.
    Ich erstarrte und rührte mich einen Moment lang nicht.
    »Was ist? Hanna? Was ist passiert?«
    Die Stimme der Leiterin erreichte mich nicht, war seltsam fern gerückt, ich fühlte mich plötzlich – ja, ganz plötzlich – als wäre ich wieder ich selbst. Doch dieses überwältigende Gefühl hielt nur eine Sekunde lang an, denn als ich blinzelte, war es wieder fort. Zurück blieb eine leere Hülle. Die Hülle von Nummer Siebenhundertneunundneunzig.
    Ehe ich mich versah, hob Eleonore S. ihre Hand und gab mir eine schallende Ohrfeige.
    Ich zuckte zusammen, taumelte zurück und hielt meine Wange, die sogleich anfing zu brennen. »Wie, warum? Warum haben Sie das getan?!«, stotterte ich verwirrt.
    »Du warst nicht bei Sinnen«, erklärte sie und zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Das passiert normalerweise nicht. Ich habe mir Sorgen gemacht. Was ist mit dir passiert?«
    »Ich, ich weiß es nicht«, gab ich zu und seufzte leise. Ich verstand ja sowieso überhaupt nichts . Was ging hier ab?
    »Nun gut.« Eleonore S. verzog leicht missbilligend ihren Mund, weil ich nicht näher auf ihre Frage eingegangen war. »Du kannst mir auch ein andermal davon erzählen. Gehen wir jetzt weiter.«
    Sie führte mich vor ein Zimmer, das fast ganz am Ende des Flurs lag. NUMMER SIEBENHUNDERTNEUNUNDNEUNZIG stand dort in Großbuchstaben auf einer silbernen Plakette. Nur eine weitere Tür war daneben. Diejenige der Person, die nach mir kommen sollte. NUMMER ACHTHUNDERT.
    Wer das wohl sein würde? Und wie diese Person gestorben war?
    »Öffne deine Tür selbst. Sie wird sich deine DNA einprägen, deine Stimme, dein Alles . Mach ruhig.« Die Leiterin lächelte mir zu und klopfte unruhig mit dem Krückstock auf den Boden. Immer wieder, bis ich tief einatmete, meine Hand auf die Türklinke aus Metall legte und die Tür aufstieß. Und dann stand ich in meinem Zimmer.
    »Na, wie gefällt es dir?«, fragte Eleonore S. mit krächzender Stimme. »Na, na?«
    »Es ist ... nett«, überlegte ich laut und sah mich neugierig um. Vier Wände. Ein etwa neun Quadratmeter großer Raum. Regale mit Büchern. Mit unzähligen Büchern, die sich bis zur Decke erstreckten. Eine kleine Minibibliothek, nur für mich, dachte ich verwundert. Ich fuhr mit meinen Händen über die

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