Nuancen der Lust (German Edition)
Sie hinzuhalten war mit Abstand der größte Schmerz, den er ihr hätte antun können.
Unausgeschlafen und am Ende ihrer Nerven schleppte sich Leonie am nächsten Morgen zur Arbeit. Sie konnte sich kaum darauf konzentrieren, was sie tat. Ihr Körper war wie eine Maschine, die glücklicherweise ohne jede Systemstörung funktionierte.
Mittags wollte sie sich wie üblich mit Thea und Bianca in ihrem Stammlokal am Hamburger Hafen treffen. Sie kam als erste an und setzte sich daher zunächst allein an den Tisch. Was sie bestellen sollte, wusste sie nicht. Ein Hungergefühl schien ihr fremd. Sie fragte nach dem Tagesgericht und orderte es, ohne wirklich verstanden zu haben, um was es sich dabei handelte.
»Süße, du siehst ja furchtbar aus«, wurde sie von Thea begrüßt. Sie setzte sich Leonie gegenüber.
»So fühle ich mich auch. Dein verdammter Guru. Ich hätte mich niemals darauf einlassen sollen.«
Thea blickte schockiert drein. »Was hat er getan?«
»Er macht mich verrückt.«
»Hm. Wie, verrückt?«
»Verrückt vor Lust.« Leonie fühlte, wie sie sich darin hinein steigerteund ihr Atem immer schneller wurde. »Ich will, dass er es mir besorgt. Ich brauche es. Verstehst du? Aber alles, was er tut, ist mich zu fesseln und Wachs auf meine Brust zu träufeln.«
Thea hielt ihre Hand und streichelte behutsam darüber. »Das ist in Ordnung, Süße. Wenn du es wirklich willst, wirst du sicher einen Weg finden, deine Triebe zu befriedigen.«
Bianca betrat das Lokal. Sie warf den Anzugträgern am Nachbartisch eine Kusshand zu und erhielt anerkennendes Pfeifen und Johlen als Antwort. Leonie stütze den Kopf mit einer Hand ab. Sie wusste nicht, ob sie das heute ertragen konnte.
»Na, ihr Hübschen?«, meinte Bianca zu ihr und Thea und ließ sich auf den freien Stuhl zwischen ihnen plumpsen. »Was gibt es Neues? Schon Erfolge mit dem Sex-Guru?«
Leonie hätte heulen können.
»Sprich sie besser nicht darauf an«, sagte Thea an ihrer Stelle. »Sie ist fix und fertig. Ich glaube, sie hatte gestern Abend eine Offenbarung und muss jetzt erstmal lernen, was sie damit anfangen soll.«
»Von wegen Offenbarung.« Leonie hätte das gerne mit einer schlichten Handbewegung fortgewischt. »So ein Quatsch. Ich will, dass der Typ mich flachlegt. Und was macht er? Er hält mich hin.«
Ihre Stimme muss eindeutig ein paar Oktaven zu laut gewesen sein. Denn vom Tisch der Anzugträger rief jemand herüber: »Hey, Puppe, wenn du es so nötig hast, kann ich es dir gerne jetzt gleich besorgen.« Die Herren amüsierten sich offenbar großartig.
Leonie errötete und wäre am liebsten vor Scham im Boden versunken.
»Das kann doch alles nicht wahr sein«, zischte sie.
Bianca stand vom Tisch auf. Sie hob die Brust an und stützte die rechte Hand in die Hüfte. »Hey, Baby, also ich wäre bereit. Hier und jetzt auf dem Tisch. Was sagst du dazu? Komm rüber und hol dir, was du willst.«
Zu allem Überfluss leckte sie einmal an ihrem linken Zeigefinger und ließ ihn anschließend ausgiebig über ihre Brust kreisen.
Leonie schlug die Hände vor die Augen. Das war ein Traum. Ein Alptraum!
Eine Kellnerin eilte herbei und bat Bianca eindringlich, doch wiederPlatz zu nehmen und sich ruhig zu verhalten. Andernfalls drohte ihr Hausverbot. Grummelnd gab sich Bianca geschlagen und setzte sich wieder. Die Anzugträger nickten ihr jedoch anerkennend zu und machten ganz den Anschein, als hätten sie ihr Angebot nur allzu gerne angenommen.
»Also, haben wir uns alle wieder beruhigt?«, fragte Thea wenige Minuten später, nachdem die Kellnerin das Essen serviert hatte.
Leonie begutachtete den Teller vor sich. Waren das Muscheln? Ihr wurde übel bei dem Anblick. Sie schob das Essen so weit wie möglich von sich fort.
»Ja, wir sind alle wieder ruhig und artig«, meinte Bianca. »Versprochen.«
»Gut«, meinte Thea und richtete ihren Blick dann auf Leonie. »Ich schlage vor, du hältst deine Verabredung ein und gehst heute Abend wieder zu Marco.«
»Woher weißt du das eigentlich?«, wollte Leonie wissen. Sie hatte den neuen Termin bisher mit keiner Silbe erwähnt.
»Oh, wir haben ständigen Kontakt.« Sie hielt ihr Smartphone wie eine Trophäe in die Höhe. »Wir erzählen uns alles. Immer. Keine Geheimnisse.«
»Bist du …?« Leonie konnte die Frage nicht länger unterdrücken, hatte jedoch Schwierigkeiten sie auf eine Weise zu formulieren, die sich freundlich anhörte. »Bist du so etwas wie er, nur als Frau? Ich meine, bist du die
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