Nubila 01: Das Erwachen
interessanter Gedanke.
„ Die Diener der Ältesten…“, begann sie leise. „Sind das alle Privilegierte?“
„ Ja“, flüsterte Delilah nach einer kurzen Pause zurück. „Sie haben alle bestimmte Fähigkeiten oder Gaben, aber die Gabe der Verbindung wird von den Herren als eine der sinnvollsten und mächtigsten angesehen. Denn obwohl der Schlaf den Herren ja schon ewige Jugend ermöglicht, so ist es erst die Verbindung, was die Herren so gut wie unverwundbar macht.“
„ Das verstehe ich nicht“, gab Kathleen frustriert zu und kniff unzufrieden die Augen zusammen. Es missfiel ihr, dass sie bisher noch nichts von alldem gewusst hatte.
„ Tja“, sagte Delilah leicht amüsiert. „Dann pass am besten einfach gut auf.“
Kathleen wollte noch weitere Fragen stellen, aber in genau diesem Moment fingen die Musiker wieder an zu spielen und jeder im Saal richtete sich so gerade wie möglich auf. Es war eine ruhige Melodie, die zwar nichts mit der Kirchenmusik in der Menschenwelt gemein hatte, aber dennoch sehr gut zu einer Trauung zu passen schien. Kathleen vermutete, dass diese Musik bereits seit vielen Jahrhunderten zu genau diesem Anlass gespielt wurde.
Und dann kam sie. Noemis Tochter hatte lange schwarze Locken und ein etwas ovaleres Gesicht, als ihre Mutter und ihre Tante. Sie trug ein langes, enges, dunkelrotes Kleid und dazu hohe Schuhe in derselben Farbe. Sie schritt nicht, wie Kathleen es erwartet hatte, sondern sie schien eher über den Boden zu schweben oder zu gleiten. Wie ihr das mit den hohen Schuhen überhaupt möglich war, war Kathleen ein einziges Rätsel.
Kurz vor dem Altar blieb sie stehen und lächelte Benedikt glücklich an, der ihr die Hand entgegenstreckte und sie eine Stufe zu sich hoch zog. Dann sah Kirsten zu den Ältesten hinüber und wandte sich explizit an Noemi.
„ Mutter“, sagte sie. „Dies ist der Mann, den ich gewählt habe. Gestattest du mir mich in alle Ewigkeit mit ihm zu verbinden?“
Noemi stand auf und ging auf ihre Tochter zu. Sie strahlte eine Macht und Autorität aus, die durch den ganzen Saal zu spüren war und niemand traute sich auch nur zu laut zu atmen, um das Ritual nicht zu stören.
„ Du hast meinen Segen, mein Kind“, sagte Noemi und drückte ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn.
Dann trat sie wieder zurück und überließ Jade den Platz in der Mitte der Tribüne.
„ Die Verbindung ist ein mächtiges Band“, begann Jade und Kathleen lehnte sich ein wenig vor, um bloß kein Wort zu überhören. „Auf der ganzen Welt existiert kein stärkerer Zusammenhalt zwischen zwei Personen und er sichert euch eine starke, stabile Beziehung für die Ewigkeit. Durch diese Verbindung werdet ihr alles auf dieser Welt teilen: Freud, Leid, Glück und Schmerz. Je näher ihr beieinander seid, desto stärker wirkt das Band und je weiter ihr voneinander entfernt seid, desto weniger werdet ihr es spüren. Doch es ist von nun an immer da und wird euch immer wieder zueinander ziehen. Es gibt nichts, was diese Verbindung jemals komplett wieder lösen kann außer dem Tod. Seid ihr Lady Kirsten bereit das zu akzeptieren?“
„ Ja, das bin ich“, sagte Kirsten ernst und nickte dabei.
„ Und ihr, Sir Benedikt?“, fragte Jade etwas weniger förmlich.
„ Ja, das bin ich“, antwortete Benedikt genauso ernst, wie seine Verlobte, und Jade trat zufrieden einen Schritt nach vorne.
Sie zog ein scharfes Messer aus ihrem Gewand und ließ es langsam durch ihre Hände gleiten.
„ Streckt eure Arme nach vorn“, forderte sie die beiden auf und beide kamen dem sofort nach.
Ohne zu zögern ergriff sie Kirstens Handgelenk und schnitt ihre Vene auf, sodass das Blut hervorquoll und ihren Arm hinunter auf den Teppich tropfte. Kirsten verzog dabei keine Miene. Sie zuckte nicht einmal zusammen, sondern war vollkommen gefasst. Bei Benedikt tat Jade dasselbe und drückte dann die Arme der beiden aneinander, sodass ihre Hände sich verschränken konnten und die Wunden genau übereinander lagen.
„ Auf dass euer Blut sich vermischen möge“, sagte Jade laut und umfasste mit ihren Händen von außen die Stelle, an der das Blut der beiden hervorquoll. „Auf dass ihr euch gegenseitig die Schmerzen lindert und eure Gefühle einander ergänzen mögen.“
Dann schloss sie die Augen und um die Arme herum war plötzlich ein heller Schimmer zu sehen, der sich ausbreitete und alles rund herum einen Moment lang erstrahlen ließ. Dann hörte das Blut auf zu tropfen und nach einer Weile
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