Nudeldicke Deern
Laptop, der eine eingebaute Kamera hat, und schieße so ein Selbstporträt nach dem nächsten. Meist kostet es zwei oder drei Versuche, aber dann gefalle ich mir auf einem Bild, speichere es ab und denke nicht mehr daran. Erst an den Tagen, an denen die Welt mal wieder doof war und ich dabei bin, alle meine Stärke und Kraft zu vergessen, mache ich den Ordner mit den Fotos wieder auf. Und sehe mir an, wie debil grinsend ich da im Büro sitze. Oder hier, wo ich modelmäßig rumpose, mit albernem Schmollmund und den Händen in den Haaren. Oder hier, wo ich die Zunge rausstrecke, weil ich schon immer mal wissen wollte, wie ich dabei aussehe. Oder hier, wo ich aus vollem Halse lache, während der Kerl hinter mir Grimassen schneidet. Oder hier, wo ich geradeaus gucke, ohne große Pose und einfach zufrieden aussehe. Wie Anke eben. In Ordnung eben.
Mit den Fotos von dir kannst du auch eine weitere «Motivationshilfe» aus deinen Diätzeiten ins Positive verkehren. Die Idee hast du bestimmt auch schon mal gehört: Such dir das schlimmste Bild von dir und kleb es an den Kühlschrank, damit du daran erinnert wirst, wie widerlich du bist, wenn du dir einen Schluck Milch für den Kaffee holen willst. Ganz tolle Idee. Welcher Sadist ist bloß auf so einen Mist gekommen? Was für eine Art «Motivation» ist es, sich selbst zu hassen? Dass daraus nichts Gutes werden kann, sollte man eigentlich gar nicht erwähnen müssen, aber anscheinend muss man’s doch.
Oder die Methode, dir Kleidung zu kaufen, in die du nicht reinpasst. Der diätlebende Mensch weiß, was kommt: «noch» nicht reinpasst. Überraschung: Die teure Hose ist genauso wenig motivierend wie dein Hassfoto, denn alles, was sie dir sagt, ist: Du bist nicht in Ordnung, so wie du bist. In einem amerikanischen Weblog habe ich den wunderbaren Ausdruck «depression pants» für diese Art Kleidungsstücke gefunden, den ich sehr treffend finde. Denn selbst wenn du dich irgendwann in diese Hose reingehungert hast, wirst du mit sehr großer Wahrscheinlichkeit irgendwann wieder nicht mehr reinpassen. Und anstatt sie wegzuwerfen, wird sie noch jahrelang im Schrank verbleiben und dich immer wieder daran erinnern, dass du disziplinlos bist und versagt hast. Klingt genauso sinnvoll wie das Kühlschrankfoto und macht genauso viel schlechte Laune.
Anstatt dich mit derartigen «Motivationen» fertigzumachen, solltest du dich feiern. So wie du bist. Ich kenne dich nicht, aber ich gehe fest davon aus, dass du in deinem Leben schon was geschafft hast, auf das du stolz bist. Dein Job? Deine Kinder? Deine Doktorarbeit? Deine Schlumpfsammlung? Es gibt garantiert etwas, was dir gelungen ist und auf das du stolz bist. Ja, verdammt nochmal, stolz sein solltest. Definier dich nicht über dein Gewicht, sondern über die wichtigen Dinge, die dein Leben ausmachen.
Meiner Meinung nach führt jedes kleine Stückchen Stolz zu einem besseren Körperbewusstsein. Und wenn es nur der Stolz darauf ist, endlich das Altpapier zum Container getragen zu haben. Klopf dir für irgendwas auf die Schulter und halt dieses Gefühl fest. Dieses: «Ich bin etwas wert. Ich bin gut in etwas. Ich bin stolz auf mich.» Und wenn du neben den vielen, vielen Dingen, die du kannst und in denen du gut bist, nicht gut darin bist, Diät zu halten, scheiß drauf. Ich bin nicht gut darin, Fenster zu putzen, und ich leide darunter kein bisschen.
Ich glaube, dass dicke Menschen, die auf sich stolz sind, die sich etwas wert sind und die sich um sich selbst liebevoll und ohne Selbsthass kümmern, automatisch gesünder sind als Menschen, die vielleicht einen «gesunden» BMI haben, aber damit hadern und sich eklig finden – ein gesunder Geist in einem gesunden Körper eben. Und ich glaube, dass, wer respektvoll mit seinem Körper umgeht, anstatt ihm dauernd etwas vorzuwerfen, ihn eher zu schätzen weiß und ihn vielleicht sogar akzeptieren kann. Ich weiß, dass Körperakzeptanz sehr, sehr schwierig ist, weil sie uns viel zu selten vorgelebt wird. Es gibt viel zu wenige «normale» oder dicke Schauspielerinnen in Film oder Fernsehen, die wir als Vorbilder nehmen können. Es gibt viel zu wenige «normale» oder dicke Sängerinnen, Moderatorinnen, Autorinnen, Politikerinnen, Vorstandsvorsitzende oder andere Frauen in der öffentlichen Wahrnehmung, die ein Gegengewicht setzen könnten zu den ganzen dünnen Frauen, von denen wir umgeben sind. Nochmal: Ich verurteile keine dünne Frau dafür, dass sie dünn ist und
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