Nudeldicke Deern
wertfrei. Ich bin ich, und so sehe ich aus.
Genauso beim Klamottenkauf. Klar ist es für uns Dicke schwieriger, schöne Kleidung zu finden, die aus halbwegs vernünftigen Materialien gefertigt ist und kein Monatsgehalt kostet. (In diesem Zusammenhang: Wer ist jemals auf die Idee gekommen, dicke Menschen in Polyester einzukleiden? Wir schwitzen sowieso etwas schneller als dünne Menschen – können wir dann bitte wenigstens ein paar Shirts und Hosen aus Baumwolle kriegen? Danke.) Aber es ist möglich, sich so einzukleiden, wie du dir gefällst. Notfalls muss eine Schneiderin oder ein Schneider nachhelfen, aber es geht. Und wenn dir dein Spiegelbild zu Hause keine Angst mehr macht, dann auch nicht der Spiegel in der Umkleidekabine. Klar poppen auch hier ab und zu noch die blöden Satzfetzen auf, mit denen man sich jahrelang selbst kleingemacht hat: «Das kann ich nicht anziehen. Das sieht so schlimm aus.» Aber ich habe inzwischen gelernt: Ich kann alles anziehen. Und es sieht nicht schlimm aus, sondern nur ungewohnt. Denn während wir mit dünnen Menschen auf Anzeigen und Plakaten bombardiert werden, fehlen die dicken Menschen total. Es fehlen ja sogar die «normalen» Menschen, und deswegen – ich wiederhole das gerne nochmal – empfinden wir «normal» inzwischen als «zu dick».
Ich bin es gewohnt, nur sehr schlanke Menschen in Leggings und Kleidern zu sehen. Aber auf einmal war mir das egal. Ich wollte ein Kleid tragen, und weil es Winter war, wollte ich darunter Leggings anziehen. Also kaufte ich mir ein violettes, knielanges Wollkleid, trug meine Lieblingskette aus Silber mit einem violetten Stein, kramte meine hohen Absätze wieder aus dem Schrank, die ich schon ganz nach hinten gestapelt hatte, weil davor die ganzen Kartons mit den bequemen Sneakers standen, und stellte mich so vor den Spiegel. Und mir ging es wie mit der neuen schwarzen Hose und der blauen Jacke: Es sieht so was von überhaupt nicht nach irgendwelchen Modemagazinen aus. Aber es sieht nach mir aus. Und so bin ich mit meinen dicken Beinchen in hautengen Leggings durch die Gegend gestapft, und es hat niemanden, wirklich niemanden interessiert. Vielleicht auch, weil ich keinen demütigen, entschuldigenden Gesichtsausdruck hatte, weil ich ja dick bin, weswegen ich mich 24 Stunden am Tag lang schämen muss. Stattdessen habe ich mich in meiner Haut absolut wohl gefühlt. Es hat ein bisschen Überwindung gekostet, klar. Natürlich hatte ich Angst vor irgendwelchen Sprüchen, aber anscheinend hatte die Welt an diesem Tag einen guten Tag, und es war alles in Ordnung. Der ganze Abend hat mir sehr viel Kraft gegeben – mehr als es mir meine abgenommenen 25 Kilo jemals gegeben haben. Ich habe an dem Abend gelernt, dass es okay ist, so zu sein, wie ich bin. Ich muss nicht dünner werden, und ich muss niemand anders sein. Ich bin in Ordnung, so wie ich bin. Und du bist in Ordnung, so wie du bist.
Ich habe am Anfang des Buchs vom Gute-Laune-Perpetuum-Mobile gesprochen, von der ständigen Wiederholbarkeit von Genuss, indem man selbst kocht. Das funktioniert auch hervorragend mit der eigenen Optik. Ich weiß, wie schwierig es ist, sich gegen die vielen dünnen Bilder zu wehren und sich trotzdem wohl in seinem eigenen, dicken Körper zu fühlen. Deswegen: Schaff dir Gegenpole. Es gibt in diesem wunderbaren Internet diverse Seiten und Bilderpools, in denen sich dicke Frauen in ihren Lieblingsklamotten fotografieren. Das hört sich erst mal seltsam an, aber für mich persönlich war es eine absolute Wohltat, dicke, gutgelaunte Frauen in schönen, eleganten, sportlichen, ausgeflippten, quietschbunten Klamotten zu sehen, die sich augenscheinlich rundum wohl in ihrer Haut fühlen. Meine liebste Anlaufstelle ist eine Flickr-Gruppe namens Fatshionista, wo es jeden Tag etwas Neues zu sehen gibt. Den Link zu den Damen, wie auch viele andere, hoffentlich hilfreiche Links findest du im Anhang dieses Buchs.
Und so wie ich mir eine Liste mit Mahlzeiten gemacht habe, die ich gekocht habe und die ich gerne nochmal essen würde, habe ich auch angefangen, mich selbst zu fotografieren. Das ist für viele dicke Menschen die Strafe schlechthin: sich ablichten zu lassen. So für die Ewigkeit. Auf immer festhalten, wie eklig man aussieht. Den Spieß drehe ich gnadenlos um: Immer, wenn ich mich in meinen Klamotten oder mit diesen neuen Ohrringen oder mit diesem wilden Make-up besonders wohl fühle, mache ich davon ein Foto. Dafür nutze ich bequem meinen
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