Nuhr, Dieter
explizit
antifaschistisch daherkommen. Es darf also nicht mehr heißen: »Kommt ein Mann
zum Arzt«, sondern: »Kommt ein Antifaschist zum Arzt.«
Das ist für junge Leute befremdlich. Und seither ist Kabarett
mehr etwas für die ältere Generation.
Es wird ja oft gefragt: »Wo ist der Unterschied zwischen
Comedy und Kabarett?« Beim Kabarett ist der Humor bissiger, weil das Publikum
meist keine Zähne mehr hat. Und das Beißen übernimmt dann der Kabarettist.
Viele Kabarettkeller sind ja auch deshalb immer leer, weil
das Stammpublikum die Treppe nicht mehr runterkommt. Deswegen sagen auch
viele: »Das Kabarett ist tot.« Dabei hat man das schon immer gesagt. Es hatte
kaum angefangen, da war es schon tot. Bei der Humorgattung Comedy gilt übrigens
dasselbe, die ist auch tot, seit sie existiert. Irgendwann ist ja auch über
jede Körperöffnung einmal gelacht worden, und leider hat man nur eine begrenzte
Anzahl davon zur Verfügung. Ich jedenfalls. Es gibt allerdings auch Comedians,
die im Besitz von Körperöffnungen sind, bei denen man sich gar nicht sicher
ist: »Woraus reden die? Ist das der Mund? Oder der Schließmuskel?«
Ich werde auch oft gefragt: »Was machen Sie eigentlich,
wenn Kabarett oder Comedy mal tot sind?« Ich sage dann immer: »Weiter. Ich
mache einfach weiter.«
Der Tod ist halb so wild, wenn man einfach weitermacht.
Auf unseren Bühnen stehen ganz viele Leute, die schon seit Jahren tot sind,
denen hat bloß keiner Bescheid gesagt.
Vergessen 30. Mai 2007
Was wollte ich noch sagen? Ich habe es vergessen. Ich
vergesse alles. Manchmal vergesse ich sogar, dass ich etwas vergessen wollte.
Und dann kann ich das nicht vergessen, das ist auch unangenehm.
Es ist ein Elend. Sie wissen nicht zufällig, wo ich den
Schlüssel hingetan habe? Woher auch? Sie waren ja nicht dabei. Das ist schön,
wenn man guten Gewissens sagen kann: »Weiß ich nicht.« Wer nichts weiß, kann
nichts vergessen.
Aber es gibt Dinge, von denen wird erwartet, dass man sie
weiß, Termine, Namen, Geburtstage und vor allem: Hochzeitstage! Den
Hochzeitstag kann man vergessen, wenn ihn der Partner auch vergisst. Als Mann
jedoch vergisst man oft, dass man der Einzige ist, der so etwas vergisst. Und
dann kommt man oft noch zum Scheidungstermin zu spät.
Vieles will man auch einfach vergessen. Nach dem Krieg erlitten
ja viele eine vorsätzliche Amnesie und fragten sich: »Wer war das noch mal,
dieser Adolf Dingsbums, war das nicht ein Österreicher?« Aber in Österreich
wusste sowieso niemand mehr, dass sich Hitler schon mal in Österreich
aufgehalten hatte: »Hitler, na, den kenn i net, den Piefke.«
Vergessen ist durchaus auch eine Gabe Gottes. Erst durch
das Vergessen können wir uns die Vergangenheit schönreden. Deshalb war früher
alles besser. Es gab keinen Stau! Das stimmt. Allerdings lag das daran, dass
kaum jemand ein Auto hatte. Das wird oft vergessen, dass wir auch heute ohne
Stau leben könnten, wenn bloß 90 Prozent der Autofahrer auf die Kiste
verzichten würden, und zwar natürlich die anderen 90 Prozent.
Auch die DDR finden viele heute wieder gemütlich, weil sie
vergessen, wie das früher war, bei minus 20 Grad mit dem Klo auf dem Hof. Klar,
alles war persönlicher, man kannte sich, schon aufgrund der Überwachung. Man
wusste, was gerade so geredet wird, weil man über Kopfhörer zugehört hat. Aber
das ist schnell vergessen.
Man vergisst so leicht. Man schaut den Lebenspartner an
und weiß beim besten Willen nicht mehr, was einen dazu getrieben hat, mit ihm
zusammen sein zu wollen, bis man dann vergisst, was einen überhaupt stört. Dann
wird alles gut. Im Alter werden Beziehungen oft wieder besser, weil man
vergisst, sich auf die Nerven zu gehen. Außerdem werden ja auch die Augen
schlechter. Das hat seine Vorteile. Viele Beziehungen gehen schließlich
auseinander, wenn einer der Partner plötzlich zum Optiker geht - oder bloß die
Lampe repariert. Das sollte man nicht tun. Wenn Sie nichts mehr sehen, mein
Tipp: Vergessen Sie's einfach.
Gib ihm doch mal ein
Küsschen. 13. Juni 2007
Es gibt viele schlimme Sätze auf dieser Welt, aber einer
gehört ganz sicher zu den furchtbarsten: »Nu, gib ihm doch mal ein Küsschen!«
Meist wird er innerhalb der Verwandtschaft gebraucht, um
Minderjährige zu einem Körperkontakt aufzufordern, der ihnen eigentlich zuwider
ist. »Gib ihm doch mal ein Küsschen!« heißt so viel wie: »Fass an! Berühr ihn!
Das tut doch nicht weh ...!«
Das ist für Kinder nicht
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