Nuhr, Dieter
Lederschlips auch noch angelächelt, entschuldigend, anstatt
zu sagen: »Ja, mein Kind, hüte dich vor den Lederschlipsträgern, denn sie sind
böse durch und durch!« Eltern haben doch eine Verantwortung, eine ethische,
ehrlich ...
Ethik 28. August
2007
Häufig gerät man in Situationen hinein, in denen man sich
fragt: »Wie soll ich mich verhalten?« Zum Glück gibt es da oft einfache Richtlinien.
Wenn jemand beispielsweise 30 Zentimeter größer ist als Sie und mit einer
Waffe vor Ihnen steht: Bleiben Sie freundlich! Der Hinweis auf ethische
Grundsätze wie Kants kategorischen Imperativ hilft da nicht weiter, vor allem
dann nicht, wenn der Mann mit der Waffe nur Usbekisch spricht. Es sei denn,
Sie sprechen auch Usbekisch. Dann fangen Sie ein Gespräch an und verweisen Sie
auf entfernte Verwandtschaft. Dieser Tipp soll schon Leben gerettet haben.
Was lernen wir daraus? Die Anwendung ethischer Grundsätze
ist von den Machtverhältnissen abhängig. Der Mensch neigt zum schlechten
Charakter und behandelt kleine bucklige Diener meist viel schlechter als
usbekische Riesengangster mit Handfeuerwaffe.
Dennoch handelt der Mensch natürlich, sofern möglich, nach
ethischen Grundsätzen. Er achtet darauf, niemals weniger zu bekommen als die
anderen. Ganz besonders wichtig ist dem Menschen Gerechtigkeit. Die anderen
dürfen also auf keinen Fall mehr bekommen als er selbst. Der Mensch verlangt
nach etwas, und empfindet es dann als ungerecht, wenn es ihm versagt bleibt.
Das geht bei der Taschengelderhöhung los und endet beim Viertwagen.
Wer etwas besitzt, bezeichnet dies gern als Sozialneid.
Gerade wer viel hat, ist da sehr empfindlich. Gerade Leute mit geringer
Qualifikation müssen sich in letzter Zeit von Gutverdienern fragen lassen, ob
sie lieber wohnen oder essen wollen, man müsse doch nicht immer gleich alles
auf einmal haben.
Leistungsempfänger dagegen merken oft gar nicht mehr, dass
ihr gesamtes Leben von der Gemeinschaft bezahlt wird, und dass das gut ist -
und ein in der Geschichte der Menschheit nicht unbedingt selbstverständlicher
Vorgang.
Insofern haben wir bei uns einen gesunden Ausgleich. Alle
sind beleidigt. Bei uns wird jeder dritte erwirtschaftete Euro staatlich
umverteilt, was dazu führt, dass alle das Gefühl haben, alles werde falsch
verteilt, in die falschen Taschen, nämlich nicht in die eigene. Im Grunde gibt
es nur ganz wenige Menschen, die mit der Verteilung zufrieden sind, und das
sind in erster Linie usbekische Riesengangster. Das ist auch irgendwie
unbefriedigend.
Provokant 4. September
2007
Heute hätte ich einmal Lust, ganz heiße Eisen anzupacken,
scharf, politisch und polarisierend, etwas Provokantes rauszulassen. Aber das
ist nicht einfach heutzutage. Früher konnte man irgendetwas gegen Amerika
sagen, gegen den imperialen Weltmachtanspruch des Kapitalismus, gegen
Globalisierung, gegen Politiker, das war scharf. Heute ist so etwas das übliche
Repertoire. Früher nannte man solche Positionen linksradikal. Heute können Sie
solche Positionen an jedem Stammtisch hören. Das provoziert doch niemanden
mehr. Das steht sogar in der »Bild«-Zeitung. Das macht es für Kabarettisten
nicht gerade leichter.
Nach Jahrzehnten stellt man fest, welch klischeehaften,
eindimensionalen und monokausalen Mist man in der Jugend erzählt hat - und
gerade in dem Moment, in dem man das bemerkt, ist der Krempel plötzlich
Konsens.
Es ist heute schwer, provokant zu sein. Das Subversivste,
was man heute sagen kann, ist: »Ich bin zufrieden.« Oder: »Die Welt ist schön.«
Das sind Sätze, die Empörung auslösen. Wenn man darauf hinweisen würde, dass
weltweit noch 1980 über 50 Prozent der Menschen in Armut lebten und 2008 nur
noch 12 Prozent und dass das eine tolle Entwicklung sei, das würde Entsetzen
auslösen! Das traue ich mich auch gar nicht. Das Positive zu sehen, ist so
subversiv, das kann man nicht machen ...
Heute ist es provokant, wenn man sich der allgemeinen
Panik verweigert. Sicher, der Meeresspiegel steigt. Vor 5000 Jahren lag Venedig
noch 140 Meter über dem Meer. Aber das war doch auch nicht besser als heute, im
Gegenteil: Das war nicht leicht, jeden Tag mit den Gondeln den Berg runter ...
Natürlich ist zu warmes Klima eine Katastrophe. Aber neulich,
als wochenlang nur die Sonne schien, und es warm war, das gebe ich jetzt
einfach mal ganz offen zu, da habe ich teilweise am Fenster gestanden und
gedacht: »Wenn das die Klimakatastrophe ist, wie lange muss ich um den
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