Nuhr, Dieter
immer erfreulich, vor allem, wenn
sie Onkel und Tanten küssen sollen, die beim Sprechen spucken - oder die
aussehen wie ein Leguan. Oder wie ein Wellensittich ohne Federn. Oder wie ein
Pfund Gehacktes nach einem halben Jahr in einer ausgeschalteten Kühltruhe.
Manche haben auch einen schweren Raucherhusten mit starkem Auswurf und bekommen
beim Husten die Hand nicht mehr so richtig vor den Mund.
Gerade bei Kranken sagt Mutter gerne mal: »Gib ihm doch
mal ein Küsschen!« Aber man sagt einem kranken Onkel Gerd auch nur ungern, dass
man ihn schon in gesundem Zustand eklig fand. Und als Bakterienschleuder ist er
noch abgrundtief ekelhafter ...
Mütter die gern »Gib ihm doch mal ein Küsschen!« sagen,
küssen oft auch selbst mehr, als ihrer Umwelt lieb ist. Meist feucht und mit
einer Umschlingung, die bei Minderjährigen nicht nur Platzangst und bleibende
Schüttelanfälle erzeugt, sondern auch Atemnot und Todesangst.
Solche Mütter sprechen von sich auch gern in der dritten
Person: »Gib der Mami doch mal ein Küsschen!« Nicht gesagt wird der folgende
Relativsatz: »Auch wenn sie aus dem Hals riecht wie ein altes Ofenrohr!« Denn
solche Mütter rauchen auch gern und lehnen Kaugummis oder Pfefferminz ab. Meine
Mutter raucht übrigens nicht. Nicht, dass sie jetzt wieder beim Metzger darauf
angesprochen wird. Und auch Tante Sigrid ist nicht gemeint, obwohl das alles
haargenau auf sie zutrifft. Entschuldigung, Tante Sigrid. Aber das musste
einmal gesagt werden.
Gehörgang 4. Juli 2007
Wie schön es ist, gesund zu sein, bemerkt man erst, wenn
man krank ist. Es gibt so fiese Krankheiten! Die möchte ich gar nicht kennen
lernen! Ich möchte beispielsweise gar nicht wissen, was eine Toxoplasmose ist.
Ich glaube, wenn man nicht weiß, was das ist, kriegt man es auch nicht. Oder
man merkt bloß eine leichte Lymphknotenschwellung. Wenn man allerdings
schwanger ist, darf man so etwas nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wenn
bei mir der Lymphknoten schwillt, mache ich sofort einen Schwangerschaftstest.
Man ist natürlich auch beunruhigt, denn es könnte ja auch
eine lymphatische Filariose sein. Mikrofilarien sind Würmer, die von der Lymphe
ins Blut gehen. Das ist keine schöne Vors tellung. Aber
Würmer sind schließlich überall, nicht nur im Garten, auch im Rektum. Der Wurm
kommt oft von vorn, endet aber hinten. Das entspricht auch seiner Form. Man
sagt ja: »Alles hat ein Ende, nur der Wurm hat zwei.« Man spricht ja gerne von Darmflora, aber da gibt es durchaus auch Fauna.
Säugetiere sucht man dort allerdings
vergebens, zumindest im gesunden Zustand.
Überhaupt sind so Erreger oft erschreckend primitiv. Das
merkt man schon daran, wo sie sich ansiedeln. Wer will schon in einem Hals
wohnen, wie es die Streptokokken tun? Oder im Verdauungstrakt? Oder im Ohr!
Bei Gehörgangsentzündung gibt es eine einfache Therapie.
Man bohrt sich mit einem handelsüblichen Bohrhammer die Backenzähne auf. Dann
merkt man den Schmerz in den Ohren nicht mehr. Oder man amputiert den ganzen
Schädel. Ein Kopf macht eh nur Ärger. Das fängt mit Schmerzen an und hört mit
dem Denken auf. Ohne Kopf müsste man über eine Gehörgangsentzündung gar nicht
nachdenken. Da würde man sich das Essen oben in den Hals stecken. Allerdings
müsste man es jedes Mal vorher einweichen, weil man ja auch keine Zähne mehr
hätte. Am Ende geht alles unzerkaut in den Magen und ruckzuck hat man eine
Refluxösophagitis.
Vielleicht sollte man sich den Körper komplett amputieren.
Dann wäre auch Toxoplasmose kein Thema mehr. Aber die Darmflora wäre hin. Das
wäre doch auch irgendwie schade.
documenta 8. Juli
2007
Ich muss unbedingt noch zur documenta, denn ich bin ja ein
künstlerischer Mensch und daher der festen Überzeugung, dass man alle Probleme
dieser Welt auch singen und malen kann. Gleiches gilt für alles, was schön ist.
Aber das ist kein Thema der Kunst momentan. Wenn man heute sagt: »Die Welt ist
schön«, wird einem ein Pfleger zugeteilt, der einem den Arm um die Schulter
legt und sagt: »Ganz ruhig, Herr Nuhr, das kriegen wir mit Depressiva wieder
weg ...«
Aber bei der Kunst geht es ja auch nicht um Schönheit,
sondern um Erfahrung. Das hat der Kurator der documenta ja auch gesagt: Kunst
ermöglicht Erfahrungen der besonderen Art. Man kann über diese Erfahrungen
reden. Man kann diese Erfahrungen aber auch visuell demonstrieren, sprich:
zeigen.
Das ist der kunsttheoretische Unterbau. Kunst bedeutet,
»etwas zu zeigen«
Weitere Kostenlose Bücher