Nuhr, Dieter
heute noch? Was kann man heute noch werden?« Nun, da
gibt es vielfältige Möglichkeiten. Wenn einer beispielsweise sagt: »Ich will
erst eine unendlich lange Ausbildung machen, um danach in miesen Arbeitszeiten
so richtig wenig zu verdienen« - dem kann geholfen werden! Dem kann man sagen:
»Perfekt! Du wirst Chirurg!«
Chirurg war ja früher ein ganz anderer Beruf! Da war jeder
Schnitt ein Baustein für das neue Haus. Aber heute haben Chirurgen zum Wohnen
weder Zeit noch Geld.
Wenn man heute noch Geld verdienen will und trotzdem gern
in anderen Leuten rumstochert, wird man besser Messerstecher. Da ist die
Ausbildung kürzer, und man muss nachher nicht wieder alles zunähen.
Natürlich muss im Gesundheitssystem gespart werden. Aber
am meisten spart man doch, wenn gar nicht mehr operiert wird. Und da sind wir
auf dem richtigen Weg! Weil den Job natürlich niemand mehr machen will. Bald werden
wir uns auf dem Küchentisch wieder selbst operieren - wie früher, als noch der
Dorfschamane den Blinddarm raustanzte.
Was verdient eigentlich ein Schamane? Vielleicht ist das
ja der Beruf der Zukunft: Wochenendausbildung im Kräuteranrühren und Tiermaskenschnitzen,
kleiner Kursus »Tänzen bei Vollmond«. Und danach muss man nur noch die
Kassenzulassung beantragen.
Bei der Berufswahl muss man eben flexibel sein. Wenn ich
in Aachen Fliesenleger werden möchte, muss ich auch ein Angebot als
Totengräber in Detmold annehmen. Immerhin ist Totengräber ein Beruf mit
Zukunft. Gestorben wird immer, vor allem, wenn wir erst mal keine Chirurgen
mehr haben. Dann brauchen wir jede Menge Totengräber, zumindest solange es für
Tote noch keine eigene Tonne gibt. Die schwarze Tonne fehlt eigentlich noch bei
uns vor dem Haus.
Auch ein schöner Beruf ist übrigens Entsorgungsberater.
Den gibt es auch schon. So jemand steht wahrscheinlich neben der Tonne und
sagt: »Batterien nicht ins Altpapier.« Und die alte Frau sagt: »Ach, das wusste
ich gar nicht ...« Der Entsorgungsfachmann erwidert: »Sehen Sie, gut, dass es
mich gibt! Ich hätte ja auch Chirurg werden können. Aber hier an der Tonne ist
es schöner, da findet man immer was, was man noch brauchen kann. Das ist beim
Chirurgen anders. So ein alter Blinddarm ist ja praktisch zu nichts mehr zu
gebrauchen. Schade.«
Reisen 8. Juni 2008
Wenn der Mensch reist, verlässt er seine gewohnte Welt.
Das bringt natürlich immer ein Risiko mit sich: glibberige Speisen, höllengleiche
Aborte, kleintierverseuchte Schlafstätten, genitale Krankheitserreger,
durchtriebene Kleinkriminelle, lebensmüde Fahrer, korrupte Staatsdiener,
tollwütige Mediziner und gierige Einzelhändler, um nur einige zu nennen.
Umso schöner ist es, wiederzukehren in ein Land, von dem
man weiß, dass der Tod meist auf natürlichem Wege eintritt, also durch
Herzversagen oder offene Kanaldeckel.
Eine Reise ist immer auch eine Metapher für das Sein an
sich. Sie kann Freude machen, muss aber nicht. Oft merkt man erst im
Nachhinein, dass man zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen ist - durch
einen gigantischen, exotischen Hautausschlag etwa, oder einen lästigen
Leberparasiten, der keinerlei Absicht hegt, wieder auszuziehen. Im Allgemeinen
aber macht Reisen Freude und erweitert vor allem den Horizont. Die Welt ist
bunt und groß - und Kakerlaken sind zwar lästig, aber doch selten größer als
ein Kuchenteller.
Überall ist exotische Fremdheit. Das hat natürlich auch
Nachteile. Man kennt niemanden und wüsste gar nicht, wo man klingeln sollte,
wenn kein Mehl im Haus wäre. Doch im Zeitalter der Globalisierung tritt immer
mehr das Verbindende des weltumspannend Menschlichen zutage: Sonnenbrillen,
Plastikstühle, Maggi. Das sind Konstanten, überall.
Besonders fällt auf, dass überall religiöse Menschen
leben. Die einen glauben an Geister, die Brücken zum Einsturz und Frauen zum
Wahnsinn bringen können, die anderen an eine Wiedergeburt als Regenwurm oder an
eine Jungfrauenschwemme im Jenseits. Das beweist, dass die Aufklärung nicht
der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit ist,
sondern in erster Linie eine unerfüllte Utopie zu Recht verstorbener Preußen.
Dafür ist die Küche in anderen Erdteilen oft besser als zu
Hause. Und bei uns ist der religiöse Wahn vielleicht nicht ganz so ausgeprägt,
aber auch wir Christen schicken gerade wieder Exorzisten durch die Welt. Das
ist kein Scherz! Die gibt es noch, ganz offiziell, vom Vatikan anerkannt.
Durchgeknallte gibt es überall!
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