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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Foyer der Academy of Solace gelesen hatte. Es war genauso verwirrt gewesen, voller Selbstmitleid.
    Scharnhorsts Blick flog nach rechts, nach links. Mit den Handballen rieb er sich den Schweiß von der Stirn, ungelenk wie ein Boxer.
    »Natürlich weiß ich, dass der heilige Augustinus euch kein Begriff ist, aber dafür könnt ihr mit dem Wort Hass umso mehr anfangen – meinem Hass. Jawohl, Hass, seit ich euch kenne. Einst wollte ich euer Freund sein. Ich wollte einen Freund, nur einen einzigen, ich habe darum gebettelt. Aber ihr habt mich von euch gestoßen.«
    Wieder schwankte das Bild und erlosch, und Ella ertappte sich dabei, wie sie wünschte, all das wäre für immer verschwunden geblieben in den Tiefen der gelöschten Festplatte von Scharnhorsts Computer. Doch auch diesmal kehrte der Priester zurück, verkündete die Worte, die im Innern seiner Seele brannten, in einer nicht abreißenden Predigt.
    »In manchen Nächten, in denen ich schlaflos dagelegen habe und über die Lehren nachdachte, die ihr mir erteilt habt, als ich mit euch zusammenleben musste, versuchte ich mir vorzustellen, wie es wohl wäre, euer Freund zu sein. Wie es wäre, von euch behandelt zu werden, wie man einen Freund behandelt. Es hat lange gedauert, bis ich erkannte, dass es nur einen wahren Grund gibt, warum ihr mich nicht zum Freund, sondern zum Feind haben wollt: Ihr wollt, dass ich euch erlöse von eurem Dasein. Seither verstehe ich euch, ich durchschaue euch und werde auf diese Weise doch noch euer Freund, und als Freundschaftsgabe reiche ich euch meinen Hass. Und so wie die Liebe verlangt auch der Hass mit Leidenschaft nach einem krönenden Moment der Erfüllung. Das Gericht, abgehalten von eurem einzigen Freund, verurteilt euch zum Verschwinden. Und der Engel wird abwischen alle Tränen von euren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz … «

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    Das Bild auf Ellas Handy-Display erlosch, und im selben Moment fing das Telefon auf der Arbeitsplatte an zu klingeln. Ella zuckte zusammen. Der Apparat schrillte und schrillte, bis sie es nicht mehr aushielt. Gerade als sie den Hörer abheben wollte, ging die Tür auf. Cassidy kam herein und rief scharf: »Nicht drangehen!«
    Ella ließ den Hörer los.
    »Lassen Sie’s klingeln«, befahl er. Die Schultern seiner Lederjacke waren schwarz vor Nässe, Wasser lief ihm aus den Haaren. In den Händen hielt er zwei Kaffeebecher und eine Tüte mit Sandwiches. Er sah verkatert aus, und ohne die Energie, die ihm der Whiskey verliehen hatte, waren auch seine Bewegungen nicht mehr jugendlich. »Morgen«, sagte er. »Sie sehen toll aus. Wie nach ’ner Bruchlandung mit ’nem kleinen Flugzeug.«
    »Ich dachte, Sie wären schon zum Dienst«, sagte Ella. »Aber Ihr kleines Flugzeug ist wohl auch abgestürzt.«
    »Hab mir freigenommen.«
    Endlich endete das Schrillen des Telefons mitten im Signalton, dafür schepperte Cassidys Handy los. Er stellte den Kaffee ab, griff in die Jackentasche und drückte den Anrufer weg. Er zog die Lederjacke aus, den Schulterholster mit dem Revolver behielt er jedoch an. Selbst jetzt, bei Tageslicht und nüchtern, wirkte er auf Ella, als hätte er seine eigene Schwerkraft; jemand, der Naturgesetzen gehorchte, die allein für ihn galten und von ganz persönlichen Planeten umkreist wurde. Nur seine Haut war teigig wie die eines Toten, und in seinen Augen flackerte ein gebrochenes Licht, das nirgendwoher zu kommen schien.
    »Ich möchte Ihnen etwas zeigen«, sagte Ella. Sie fuhr ein paarmal mit dem Daumen über das Display ihres Handys, bis sie das Foto der Zeichnung auf der Leinwand gefunden hatte. »Haben Sie das schon mal gesehen?«
    Er betrachtete das Bild. »Ja, das hing in Annis Praxis an der Wand. Ich habe es auch fotografiert.« Er stellte Kaffee und Sandwiches ab, schaltete sein iBook ein und anschließend den Fernseher. Er drückte einen Knopf am Laptop, kurz darauf erschien die Zeichnung auf dem großen TV-Bildschirm. »Keine Ahnung, was das sein soll. Haben Sie eine Vorstellung?«
    »Ich glaube, Anni ist da auf die grafische Darstellung eines Programms gestoßen, mit dem jemand ihr Konzept von LifeBook auf den Kopf gestellt hat.« Ella zögerte kurz, dann präzisierte sie: »Nein, nicht des Programms selbst – eher die Skizze eines irrsinnigen Experiments, das auf dem Programm fußt.«
    »Was für ein Experiment?«
    »Verzweifelten Menschen, die nicht mehr weiterwissen, wird suggeriert, die Lösung ihres Problems läge

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