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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Tür, zog sich ganz aus und drehte den Heißwasserhahn auf. Unter dem Trommeln der harten Strahlen ließen die Schmerzen allmählich nach.
    Zurück im Wohnraum, zog Ella frische Sachen aus ihrer Reisetasche an. Jedes Mal, wenn sie sich bückte, flammten kleine Sonnen vor ihren Augen auf.
    Plötzlich kehrte die Erinnerung an die gestrige Nacht mit voller Wucht zurück. Einen Moment lang sah sie nichts mehr außer der to ten Tori auf ihrem schwarzen Bett und die dunkle Wohnung, in der sie mit einem Mann, den sie nicht sehen konnte, um ihr Leben kämp fen musste. Aber auch als sie ihre Umgebung wieder wahrnahm, blitzten weiter Bilder auf, die fast unwirklich schienen: wie sie die Feuertreppe hinuntergeklettert und dann von drei Männern durch die nächtlichen Straßen gejagt worden war, bis sie in einer stinkenden, vom Lärm der Klimaanlagen erfüllten Sackgasse gedacht hatte: Jetzt ist es so weit, jetzt stirbst du. Wie ganz plötzlich DI Cassidy auf dem Polizeimotorrad herangerast war, um sie herauszuhauen. Und wie sie den Rest der Nacht nur noch in einer Art Trance erlebt hatte – gerettet von Patrick, dem Schwein, dem Schläger, der sie mit Whiskey und Tabletten abgefüllt hatte.
    Ihre Jacke lag auf dem Boden, das Handy war halb herausgerutscht. Sie setzte sich, öffnete ihr Postfach und fand Kommissar Abdallahs E-Mail.
    Das Wichtigste habe ich Ihnen ja schon auf die Mailbox gesprochen. Das Foto gefällt mir, der Text nicht. Liest sich wie von einem Irren. Schade, dass sein Handy weg ist – hätte den Typ gern gesehen, über dessen Augen er sich da auslässt. Jedenfalls, danach kam nichts mehr, nicht von ihm, auch nicht von den Freunden, von denen er spricht. Davor haben wir noch einen Ausschnitt aus einem Chat gefunden, ziemlich unheimlich. Melden Sie sich mal!
    Ella öffnete den Anhang und entdeckte zuerst das Foto, das der Sanitäter im RTW gemacht hatte, bevor er aus dem Wagen gesprungen und weggelaufen war: Auf dem Bild starrte sie erschrocken in das Objektiv, mit schreckgeweiteten Augen, eine Hand wie zur Abwehr eines Schlages hochgerissen. Vor ihr lag Shirin auf der Trage. Dann folgten die Bruchstücke von Kornacks Notiz, offenbar am nächsten Tag verfasst.
    Die meiste Angst machen mir seine Augen. Solche Augen habe ich noch nie gesehen. Sie schauen tief in mich hinein, in mein Innerstes, und nehmen sich da, was sie wollen, mein Herz, meine Seele. Wenn ich mich verschließe, schweben sie wie zornige Vögel um mich herum. Meine Zunge ist wie gelähmt, wenn er mich anschaut. Ich schreie ihn nur aus den Höhlen meiner Augen an. Er lacht. Ich weiß, er wird einen Weg durch das ungeschützt daliegende Fleisch meines Gesichts finden, er wird sich in mich hineinstürzen …
    … Immer wieder schaue ich das Bild der Ärztin an. Sie würde ihm bestimmt widerstehen. Sie ist mir geschickt worden. Sie ist ein guter Mensch. Er will, dass ich sie töte, weil sie gesehen hat, wie ich das Handy genommen habe. Keine Zeugen, das war der Befehl. Keine Spuren. Ich habe sie angerufen. Ich dachte, wenn ich wie ein Verrückter klinge, wie ein Besessener, dann kommt sie nicht, aber sie wird kommen. Ich wollte etwas ganz anderes zu ihr sagen, aber meine Zunge hat mir nicht gehorcht. Komm nicht, wollte ich sagen, bleib weg von mir, aber mein Mund war wie eine Maschine, die ich nicht mehr kontrollieren konnte, wie eine Maschine aus weichem Fleisch. Denn ich bin ein Verrückter, ein Besessener …
    … Er war in mir, er ist in mir. Wenn das Handy klingelt, wird er darauf erscheinen. Es gibt Trost. Es gibt Hoffnung. Ich muss nur daran glauben. Und jetzt, wo ich weiß, dass ich das Richtige tue, geht es mir gut. Ich fühle mich besser. Ich verwandle Salz in Honig, Tränen in Licht. Ich gehe durch die Flammen auf die andere Seite. Ich erlöse die Menschen, und nichts bleibt mehr zurück …
    … Nein! Nein! …
    … Es gibt keinen Ausweg. Ich habe versucht, mich umzubringen, um sie nicht töten zu müssen. Ich wollte ihn töten, damit er mich nicht verlassen und in jemand anderen fahren kann. Aber sie hat es verhindert, sie ist mir in den Arm gefallen. Deswegen muss ich es noch einmal versuchen. Ich habe versagt. Ich habe versagt. Ich habe …
    … Nein! Nein! Ich kann es nicht, ich werde mich nicht mitnehmen lassen in die Klinik! Ich will, dass die Kinder …
    Der Eintrag brach jäh ab. Was bedeutet das?, dachte Ella. Wer hat gesagt, dass er sich in eine Klinik bringen lassen sollte? Von welchen Kindern redet er? Trotz allem, was danach

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