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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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gekommen. Ich hatte leider noch ein bisschen andere Arbeit, zum Beispiel den Selbstmord von diesem Babynahrungshersteller, der sich ausgerechnet in meinem Bezirk umbringen musste. Ich dachte, reiche Scheißkerle wie der leben in Hampstead oder Richmond statt in Whitechapel.«
    Ein Austin mit dunklen Scheiben bog langsam um die Ecke der Barclays Bank gegenüber und rollte an Gershensons Haus vorbei. Sekundenkurz blendeten die Scheinwerferkegel Ella, als ihr Licht durch den Rover glitt. Fast im selben Moment leuchtete das Handy in Cassidys Schoß auf und spielte die ersten Takte von »Greensleeves« . Der Detective Inspector meldete sich, lauschte und reichte Ella den Apparat. »Für Sie, Doc.«
    Sie nahm das Handy, das noch warm von seiner Hand war. »Ella Bach.«
    »Professor Gershenson hier«, sagte ein älterer Mann auf Deutsch mit einem schwachen englischen Upper-Class-Akzent. »Ich habe gehört, Sie wollten mich sprechen.« Er klang, als wäre weder an der späten Stunde noch an der Tatsache, dass ein Polizeibeamter ihm auf seinem Anrufbeantworter gedroht hatte, etwas Ungewöhnliches oder gar Beunruhigendes. »Es geht um Dr. Jansen, sagten Sie?«
    »Ja, und es ist wirklich wichtig. Aber ich möchte darüber nicht am Telefon sprechen.«
    Der Anrufer schwieg einen Moment. »Ich weiß nicht genau, was Sie von mir erwarten«, sagte er. »Ich habe seit einiger Zeit nichts mehr von ihr gehört und …«
    »Ich bin nicht weit von der London-Bridge-Station entfernt und kann in ein paar Minuten bei Ihnen sein«, fiel Ella ihm ins Wort. »Sie müssen mir helfen, sie zu finden, und erzählen Sie mir bitte nicht, Sie hätten nichts von ihr gehört oder wüssten nicht, dass sie verschwunden i st! Ich bin seit drei Tagen in London, ich war in Annikas Praxis, ich habe mit einigen ihrer Patienten gesprochen, die inzwischen tot sind, und ich habe einen Tonbandmitschnitt der letzten Therapiestunde von Colin Blain gehört, nach der Annika Sie angerufen hat, um …«
    »Großer Gott«, flüsterte er. »Sie wissen davon?«
    »Ich weiß, dass sie unbedingt mit Ihnen reden wollte«, sagte Ella. »Aber was sie so aufgeregt hat …«
    »Ja, schon gut«, sagte er schnell, abwehrend und jetzt gänzlich ohne vornehmen Akzent. »Großer Gott! Kommen Sie auf keinen Fall her, kommen Sie nicht zu mir! Wir treffen uns morgen Abend beim …«
    »Nicht morgen Abend. Dann ist es vielleicht zu spät. Jetzt sofort.«
    »Sofort ist ganz und gar unmöglich.« Seine Stimme klang plötzlich fast flehend. »Ich will Ihnen ja helfen, aber ich kenne Sie nicht, und es ist …«
    Ella sah Cassidy an, der den Kopf schüttelte und ein Nicken in Richtung Straße andeutete. Der Wagen, der um die Ecke der Barclays Bank gebogen war, kehrte zurück. Jetzt fiel ihr die Antenne auf dem Dach auf, und sie begriff. »Also gut, vielleicht haben Sie recht.« Sie bemühte sich um eine Prise Mutlosigkeit in ihrer Stimme. »Wahrscheinlich lebt sie sowieso nicht mehr. Wo sollen wir uns treffen?«
    »Kommen Sie allein?«
    »Ja. Ich komme allein. Sagen Sie mir nur, wohin.« Sie sah zu, wie der Wagen mit der Antenne auf dem Dach in einer Seitenstraße bog und dort am Straßenrand hielt, ohne die Scheinwerfer auszuschalten.
    »Ich rufe Sie wieder an«, sagte Gershenson und legte auf. Ella beobachtete noch immer das Fahrzeug in der Seitenstraße. Nach ein paar Minuten löste sich der Wagen vom Bürgersteig und fuhr in die Richtung davon, aus der er an der Kreuzung aufgetaucht war. »Was jetzt?«, fragte Ella.
    »Er kommt gleich runter«, sagte DI Cassidy.
    Instinkt.
    Nicht ganz eine Viertelstunde später öffnete sich die Tür des Hauses gegenüber, und ein schlanker Mann trat auf den Gehweg. Er trug einen Burberry-Trench und einen Hut mit schmaler Krempe. Er fuhr mit zwei Fingern über die Hutkrempe, blickte nach rechts, blickte nach links, blickte zu ihnen herüber und ging dann zu dem Geldautomaten der Barclays Bank im Nachbarhaus. »Wollen Sie ihm kein Zeichen geben?«, fragte Ella.
    »Er hat uns längst entdeckt«, sagte Cassidy und sah zu, wie der Mann dem Geldautomaten den Rücken kehrte und schnell die Straße überquerte. Das Licht der Laternen reichte nur bis zu der Gleisunterführung und den steinernen Arkaden, zwischen denen sich die Halle des Borough Market öffneten. »Los.« Der Detective Inspector stieg aus, rückte sein Schulterholster zurecht und folgte dem Mann in die Dunkelheit zwischen den verrammelten Marktständen zu beiden Seiten der schmalen Unterführung.

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