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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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schwarzen Energieströme anwachsen und gedei hen? Die Politik? Die Wirtschaft? Die Medien? Die Religion? Die Glo balisierung? Alle zusammen?«
    Ella schwieg.
    Cassidy rülpste mit zusammengepressten Lippen. »Ich weiß, was Sie denken. Auch schon vor der Erfindung des Internets haben die Menschen Verbrechen begangen. Sie haben gestohlen und getötet und des Nächsten Weib begehrt. Aber sie haben gewusst, dass sie dafür bezahlen müssen. Dass es Sünde war. Ihr Gewissen hat es ihnen gesagt. Sie haben nicht damit geprahlt, um achthundertzweiundfünfzig unbekannte Freunde so zu beeindrucken, dass sie einen Gefällt mir -Button drücken. Gewissen? Brauche ich nicht mehr. Das Netz erteilt mir Absolution! Es sagt Weiter so! und verführt mich zu Verbrechen, auf die ich gar nicht gekommen wäre, wenn es nicht diese Plattform gäbe, um damit zu prahlen. Und nie – das ist die Ironie dabei! –, nie wurde es mir so leicht gemacht, dabei anonym zu bleiben, ungesehen, ungenannt, unentdeckt. Feige!«
    Langsam drehte er den Kopf, bis er Ella ins Gesicht sehen konnte. »Es ist das ideale Medium für das Böse, und irgendjemand hat das erkannt. Jemand, der das Terrain sondiert, den Boden bereitet. Denn es gibt kein Versteck mehr, keinen toten Winkel, keinen Ort, an dem man geborgen ist.«
    Doch, dachte Ella. Zuerst merkte sie gar nicht, dass sie es dachte, es war nur ein Wort, kein Gedanke. Doch. Sie wusste nicht einmal, was es bedeutete. Doch. Sie krabbelte über das Gemälde wie die Fliege, die Abdallah beschrieben hatte, und jetzt hatte sie das erste Detail entdeckt, ein Stück vom großen Bild. Alles war da gewesen, bloß dass sie es nicht erkannt hatte. Aber jetzt wusste sie, wohin sie krabbeln musste, wo sie weitersuchen musste, um das nächste Stück zu finden, bis sich irgendwann das ganze Bild offenbarte. »Doch«, sagte sie.
    »Doch was?«, fragte Cassidy.
    »Es gibt so einen Ort. Annika ist dort.«

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    Mach dir keine Sorgen um mich, ja? Morgen gehe ich zu Freunden, bei denen mich keiner findet, weil niemand weiß, dass es Freunde von mir sind. Sie wissen es nicht einmal selbst. Sie werden mich auch nicht verraten, weil sie es nicht können, und wenn sie es könnten, würden sie es nicht wollen, denn ihr Loyalität ist grenzenlos.
    »Und was für ein Ort soll das sein?«, fragte Cassidy.
    »Eine Klinik.«
    »Was für eine Klinik?«
    »Eine Klinik mit einer geschlossenen Abteilung.«
    »Für Bekloppte?«
    »Psychisch Kranke ist wohl der korrekte Ausdruck.«
    »Wollen Sie damit etwa sagen, Anni hätte tatsächlich den Verstand verloren?«
    »Nein. Sie hat nur so getan.« Ella dachte daran, wie Anni ihr auf der Fahrt nach Mont-Saint-Michel von ihren Patienten erzählt hatte, davon, wie wichtig ihr nach dem Ausbruch ihrer Krankheit der Kontakt mit ihnen geworden war. Wie sie ihr geholfen hatten, ohne es darauf anzulegen, einfach dadurch, dass sie da waren, genauso verletzt wie sie.
    Cassidy schwieg und rieb sich die Augen, als könnte er dann besser denken. »Sie meinen, sie hat sich freiwillig einweisen lassen? In eine Klapsmühle?«
    »So was in der Art, ja.«
    »Doc, wenn das stimmt …« Er wuchtete sich halb aus dem Fahrersitz. »Wenn das stimmt, dann brauchen wir doch bloß noch die Aufnahmeprotokolle aller Kliniken mit solchen Abteilungen zu überprüfen und …«
    »Nein, so finden wir sie nicht«, sagte Ella.
    »Wieso nicht?«
    »Weil sie nicht so dumm wäre, ihren richtigen Namen zu benutzen. Sie hat auch keinen Kollegen gebeten, ihr dabei zu helfen, sie will ja niemanden in Gefahr bringen. Wo immer sie ist, keiner dort weiß, wer sie ist.« Ella überlegte, krabbelte ein Stück weiter auf der Leinwand des Gemäldes. »Eine anonyme Zwangseinweisung. Eine verwirrte Frau ohne Papiere, die ihren eigenen Namen nicht mehr wusste. Die vielleicht überhaupt nicht mehr in der Lage war, zu sprechen. Die sich so auffällig benommen hat, dass sie mitgenommen werden musste, aber nicht an einem Ort, wo eure Kameras den Vorfall aufzeichnen konnten. Vielleicht in London, vielleicht in irgendeiner anderen Stadt, v ielleicht auf dem Land. Mitgenommen und nach der Einlieferung sicherheitshalber zur Beobachtung dabehalten. Spurlos, außer in den Einsatzunterlagen von Polizei oder Ambulanz.«
    »Das bedeutet?«
    »Das bedeutet, dass wir morgen in Zeitungsarchiven, den Unterlagen der Rettungsdienste oder dem Polizei-Computer nach kürzlich eventuell aktenkundig gewordenen Vorfällen suchen müssen, in die eine Frau von etwa dreißig

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